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Israel & Palästina

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Israel und Palästina - Wem gehört das Heilige Land? 

Der amerikanisch-britische Feldzug zum Sturz von Saddam Husseins Diktatur wird zu einer Neuordnung der gesamten Region führen – zu Gunsten Jerusalems. Die Schockwellen werden bis nach Teheran und Damaskus reichen. Der Feldzug durch ein Kerngebiet der arabischen Zivilisation markiert eine Zäsur in den Beziehungen zwischen dem Okzident und dem Orient. Amerika hat der Welt ein Lehrstück militärischer Machtprojektion vorgeführt, doch der Krieg wurde gegen den Widerstand des bestehenden internationalen Systems geführt und hat die Gesetze der Staaten-Ordnung entscheidend verschoben. Washington hat klar gemacht, dass es die alten Regeln nicht mehr befolgen will, weil es sie für hinderlich und überholt hält. Die neuen Regeln – Prävention, "Koalitionen der Willigen" nach Bedarf – dienen zunächst nur Amerika. Aber was dient dem Rest der Welt? Tatsache ist, dass die USA seit dem Ende der Supermachtrivalität mit unterschiedlichen Strategien und einer breiten Palette von Instrumenten, die von der Wirtschaft über die Medien bis zur Diplomatie und Militärmacht reichen, an der Konsolidierung einer Pax Americana arbeiten. Die Palästinafrage ist der Lackmustest dafür, ob die Regierung Bush es ernst meint mit der Befreiung und Demokratisierung des Mittleren Ostens. Deshalb besteht zwischen dem Irak-Krieg und dem scheinbar endlosen israelisch-palästinensischen Konflikt ein starker emotionaler und politischer Zusammenhang. Dies umso mehr, als das mächtige Amerika, das jetzt dabei ist, das Zweistromland in seinen Einflussbereich zu bringen, gleichzeitig seine schützende Hand über den Kleinstaat Israel hält. 

Kaum ein Konflikt erregt die arabische Welt so wie jener zwischen Israelis und Palästinensern: Wie können beide Völker in einem Gebiet leben, in dem beide historische Wurzeln haben? Seit dem Ausbruch der Al-Aksa-Intifada am 28. September 2000 bestimmen Gewalt und Gegengewalt das Leben der Israelis wie das der Palästinenser. Die Anschläge des 11. September 2001 in den USA haben sich auch auf den Nahostkonflikt verheerend ausgewirkt. Seitdem führen nicht nur die USA einen weltweiten „Krieg gegen den Terror“, auch die israelische Regierung betrachtet den Konflikt in den Kategorien des „Terrorismus“ – eine Sichtweise, die irreführen-

der nicht sein könnte. Der amerikanische Präsident George W. Bush hat unmittelbar vor Beginn des Irak-Krieges versichert, dass nach einem Regimewechsel in Bagdad die Umsetzung des seit Monaten diskutierten Fahrplans (Road map) zur Schaffung eines pa-lästinensischen Staates tatkräftig vorangetrieben werde. Die zentralen Zielsetzungen des vom sogenannten Quartett (USA, UNO, EU und Russland, konstituiert im April 2002 in Madrid) vorgelegten Planes sind klar: Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern, Ausrufung eines vorläufigen palästinensischen Staatswesen nach Erfüllung gewisser Vorbedingungen, Vereinbarung über die definitiven Grenzen des Palästinenserstaates bis zum Jahre 2005. Von da an soll ein „unabhängiger, lebensfähiger, souveräner palästinensischer Staat in Frieden und Sicherheit Seite an Seite mit Israel“ leben.


Der arabisch-israelische Konflikt

Die Juden leiten ihr Recht auf das Land aus der göttlichen Verheißung („Das gelobte Land“) und aus der Geschichte bis zur Vernichtung des jüdischen Staates durch die Römer (70 n. Chr.) ab. Sie sehen die Palästinenser nicht als eigenständiges Volk, sondern als Angehörige bereits bestehender Staaten, darunter an erster Stelle Jordanien. Araber und Moslems sehen die Juden generell als Religionsgemeinschaft, nicht als Volk mit Anspruch auf einen eigenen Staat. Die Palästinenser verweisen auf ihren Anspruch auf das Gebiet seit der Besiedlung Palästinas zu Beginn der islamischen Geschichte (7. Jahrhundert) mit Mohammed und seiner Religionsstiftung des Islam. Es ist ein Faktum, dass Araber und Juden immer im Nahen Osten gelebt haben, wenn auch die Eigenstaatlichkeit der Israelis für annährend 2.000 Jahre erloschen war. Tatsächlich haben sich im Laufe des späten 19. und des 20. Jahrhunderts zwei jüdische Gemeinschaften herausgebildet, die eine religiös, die andere ethnisch definiert.

1948 teilten die Vereinten Nationen das umstrittene Palästina in zwei Hälften, um beiden Völkern ihr Recht auf einen eigenständigen Staat zuzugestehen. Dieses Urteil wurde allerdings nur von Seiten der Juden akzeptiert, woraufhin auch nur einseitig der Staat Israel ausgerufen wurde. In dem darauffolgenden Krieg und weiteren Auseinandersetzungen in den nächsten Jahrzehnten gelang es Israel durch seine militärische Überlegenheit die Vormachtstellung in ganz Palästina einzunehmen. Seitdem setzt sich der Staat Israel zusammen aus dem israelischen Kernland und den seit 1967 besetzten Gebieten Ostjerusalem, Gaza-Streifen und Westjordanland. 

Die im Osloer Friedensabkommen 1993 festgelegte Teilautonomie für die palästinensische Bevölkerung in den größeren palästinensischen Städten der besetzten Gebiete ließ die Hoffnung auf einen baldigen, eigenständigen palästinensischen Staat steigen. Jedoch scheint seit dem Ausbruch der Al-Aksa-Intifada im September 2000 selbst die bereits zugestandene Teilautonomie gefährdet. Um ein besseres Verständnis für den Konflikt im allgemeinen, aber auch für die unterschiedlichen Ideologien, Herangehensweisen, Reaktionen und Strategien im einzelnen zu erlangen, ist der geschichtliche Hintergrund, der auf die Ursprünge des Konflikts vor der Staatsausrufung Israels eingeht, von größter Bedeutung. 

Geschichtlicher Rückblick

2000 Jahre war die Region, welche die Briten „Middle East“ nennen, weitgehend eine Einheit: unter Römern, Byzantinern, Arabern und unter den osmanischen Türken. Das Osmanische Reich bot, bei allen seinen Nachteilen, relative Stabilität und, vor allem, Bewegungsfreiheit. Zwischen Kairo und Istanbul, zwischen Damaskus und Beirut, zwischen Jerusalem und Bagdad gab es kaum Grenzen. Grenzen mit Flaggen, Zollposten und Passkontrollen sind eine Erfindung der Sieger des Ersten Weltkrieges. Ihre künstlichen Grenzziehungen trennten Menschen, die Jahrhunderte zusammen gelebt hatten. 

Nach der Zerstörung des selbständigen jüdischen Staates durch die Römer im Jahre 70 n.Chr. begann für das jüdische Volk die Diaspora (griechisch für Zerstreuung). Die Juden wurden über Vorderasien, Nordafrika und den Mittelmeerraum zerstreut. Eine kleine jüdische Minderheit blieb jedoch immer im Land. Dieser Landstrich hieß seit 135 n. Chr. „Palästina“. Größere jüdische Gemeinden gab es in Jerusalem, Hebron, Safed und Tiberias. Einigendes Band für die Juden in der Diaspora waren über die Jahrhunderte stets der messianische Gedanke und die Idee von Heimkehr und Wiedererrichtung eines jüdischen Staates, in dem ihnen „von Gott gegebenen Land“. Diese Sehnsucht nach „Zion“, dem Land der Vorväter (ursprünglich nur eine Bezeichnung für einen Hügel Jerusalems und die auf ihm angelegte Burg), artikuliert sich bei allen Juden seit jeher am Vorabend des Pessach-Festes in dem Wunsch: „Nächstes Jahr in Jerusalem“.

Daher zogen auch immer wieder im Lauf der Geschichte einzelne Juden aus religiösen Motiven nach Palästina. Doch blieb diese Form der Einwanderung zunächst politisch bedeutungslos. Erst allmählich fanden die Juden Verständnis für ihre politischen Wünsche. Bereits Napoleon hatte 1799 eine Proklamation erlassen, die dem jüdischen Volk das Recht auf den Besitz Palästinas zusprach. Doch besonders populär war die Idee, dieses dürre, unfruchtbare Land in die dauernde Heimat der Juden umzuwandeln, vorerst selbst unter den Juden nicht. 

Ende des 19. Jahrhunderts nahmen der Rassenhass und die Judenhetze in Europa überall zu. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erwuchs aus verschiedenen Quellen die moderne jüdische Nationalbewegung, der Zionismus[1].Damals wurde Russland von einer Welle von Pogromen erschüttert, und im übrigen Europa fasste der Antisemitismusimmer mehr Fuß. Seit der Emigration aus Judäa nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. lebten die jüdischen Gemeinden Europas über ein Jahrtausend lang in einem äußerst labilen Gleichgewicht mit ihrer Umwelt. Von den Christen wurden die „Schuldigen am Kreuzestod Jesu“ in eine Sonderrolle gedrängt. Juden durften im Mittelalter meist keinen Grundbesitz erwerben, kein Handwerk ausüben und mussten in eigenen Vierteln, den Ghettos, wohnen. Gleichzeitig aber brauchte man sie als Händler und Geldverleiher. Als Sündenböcke waren sie bestens geeignet: Das Zusammenleben mit ihren christlichen Nachbarn wurde immer wieder von Massakern und Vertreibung unterbrochen. 

Um 1880 entstanden mehrere internationale Organisationen, die die Errichtung jüdischer Siedlungen in Palästina vorbereiten sollten. Reiche Juden aus Europa wie die Familien Rothschild oder Montefiore gehörten von der Mitte des 19. Jahrhunderts an zu den Gründern neuer jüdischer Siedlungen im osmanisch regierten Land. Sie kauften den Paschas in Beirut, Kairo oder Damaskus Ländereien ab, die jene meist nie gesehen hatten, weil sie schon seit Generationen an Menschen verpachtet waren, die sich als ihre Eigentümer fühlten. Früher hatten solche Verkäufe für die Ansässigen kaum etwas verändert.

Rothschilds Beamte und Siedler aber vertrieben die arabischen Pächter. Arme Juden aus Osteuropa zogen nach und versuchten, zwischen Trockenheit und Sümpfen ihre Ernten einzufahren. Auf diese Weise stieß das Eigentumsrecht der Osmanen auf die europäischen Vorstellungen von Grundbuch und Grundnutzung. Später machten sich viele Juden ein anderes osmanisches Gewohnheitsrecht zunutze: Wer innerhalb von 24 Stunden ein Dach über den Kopf auf „herrenlosem Kronland“ errichtete, konnte sich das Land im Umkreis von einem Tagesmarsch aneignen. 

Definition „Antisemitismus“:

Antisemitismus ist eine Haltung, die ihren Ausdruck in feindseligem Verhalten und der Bekämpfung von Angehörigen des jüdischen Glaubens findet. Die Motive sind zumeist wirtschaftlicher oder religiöser Natur und rational nicht begründbar. Der Antisemitismus kann auf eine lange Geschichte zurückblicken – bereits im Buch Esther wird über ein geplantes Judenpogrom im Perserreich zur Zeit des Xerxes (485-465 v. Chr.) berichtet. Dies setzte sich auch in der Spätantike, über das Mittelalter bis hin zur Neuzeit fort, wobei Juden als kulturelle und religiöse Minderheit oft eine „Sündenbock“-Funktion einnahmen. Ideologisch untermauert wurde der Antisemitismus dann im 19. Jahrhundert und fand schließlich während des Dritten Reiches seinen tragischen Höhepunkt in der Form eines staatlich organisierten Völkermordes mit dem Ziel, jüdisches Leben und jüdische Kultur völlig auszulöschen.

In Russland bildete sich eine Bewegung, die die Rückkehr nach Israel und die Rückbesinnung auf die Landarbeit als Mittel zur Erneuerung des jüdischen Volkes verstand. Aus ihr ging die erste Einwanderungswelle, Alija (hebräisch für Aufstieg nach Zion), in den Jahren 1882 bis 1904 hervor. Diese ersten etwa 25-30.000 Pioniere waren weniger an einer Staatsgründung als an der Errichtung einer eigenständigen landwirtschaftlichen Lebensgrundlage interessiert. Die Einwanderer waren selbstverständlich alle Juden, aber sie waren keineswegs alle Zionisten. 

Starke Impulse für die Gründung eine modernen jüdischen Staates gingen von dem Wiener Journalisten und Schriftsteller Theodor Herzl aus, der unter dem Eindruck von wachsendem Antisemitismus in Frankreich (Dreyfuss-Affäre) in seinem Buch „Der Judenstaat“ (1896) die Errichtung einer „nationalen Heimstätte“ für das jüdische Volk forderte. Herzl hatte zwei mögliche Territorien im Auge, Argentinien oder Palästina: „Argentinien ist eines der natürlich reichsten Lände der Erde, von riesigem Flä-

cheninhalt, mit einer schwachen Bevölkerung und gemäßigtem Klima“. Die Alternative allerdings inspirierte Herzl mehr: „Palästina ist unsere unvergessliche historische Heimat (...) Wenn Seine Majestät der Sultan uns Palästina gäbe, könnten wir uns dafür anheischig machen, die Finanzen der Türkei gänzlich zu regeln. Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen“

 

Der von Theodor Herzl einberufene Zionistische Weltkongress 1897 in Basel formulierte das Ziel, „für das jüdisch Volk in Palästina eine durch das Völkerrecht geschützte Zuflucht zu schaffen“. Diese nationale Heimstätte sollte „die kulturellen und religiösen Rechte“ der anderen Einwohner der Region „respektieren“. Zur Finanzierung des Landkaufs und des Baus von Siedlungen in Palästina wurde 1907 der Jüdische Nationalfonds (Jewisch National Fund) gegründet. Auf die erste Einwanderungswelle folgten vier weitere vor der Staatsgründung 1948. 

 ((sorry - Baustelle - 150501))

EINWANDERUNG

PERIODE/JAHR

ZAHL DER 

EINWANDERER

WICHTIGSTE 

HERKUNFTSLÄNDER

I. Alija

1882 – 1903

25. – 30.000

Russland

II. Alija

1904 – 1914

35. – 40.000

Russland, Polen

III. Alija

1919 – 1923

35.183

Russland, Polen

IV. Alija

1924 – 1931

81.613

Polen, Sowjetunion

V. Alija

1932 – 1938

197.235

Polen, Deutschland

 

1939 – 1945

ca. 80.000

Polen, Deutschland, Rumänien, Tschechoslowakei, Ungarn

 

1946 – 1948

ca. 160.000

Polen, Rumänien, Bulgarien, 

Algerien, Tunesien

 

Die zionistischen Einwanderer mit ihrer Sehnsucht nach Errichtung einer jüdischen nationalen Heimstatt trafen auf eine bereits in Palästina lebende arabische Bevölkerung, deren Nationalgefühl, parallel zu jenem der Juden, ebenfalls erwachte. Dies war historisch bedingt. Von 1517 bis 1917 war der Landstrich Palästina Teil des Osmanischen Reiches. Unter dem permanenten Druck der türkischen Besatzung erlangte der arabische Nationalismus während des Ersten Weltkrieges seine Breitenwirkung. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges schlug sich das Osmanische Reich auf die Seite Deutschlands und der Habsburger - Monarchie. Großbritannien, Frankreich und Russland waren die Hauptgegner. Großbritannien wollte noch mehr „Sicherheit“ für den Weg nach Indien erreichen, d. h. den Suezkanal sichern, musste jedoch bald erkennen, dass das angeblich so schwache Osmanische Reich dank deutscher Militärhilfe kein zu unterschätzender Gegner war. Verbündete wurden gesucht – und auch gefunden: die Araber. Die arabischen Nationalisten wollten die Fremdherrschaft der Osmanen endlich abschütteln und London „eine feste und dauerhafte Allianz“ durch Gebietszusagen mit den Arabern begründen, was im sogenannten McMahon-Brief vom 24. Oktober 1915 versprochen wurde.

 

In einem Briefwechsel hatte der britische Hochkommissar in Ägypten, Sir Henry McMahon, dem Großscherif Hussein bin Ali von Mekka zugesichert, nach Kriegsende und der Niederlage der Türken ein „Königreich Arabien“ zu errichten, das Syrien, den Irak, Saudi-Arabien und Palästina unter Führung Husseins umfassen sollte. So beteiligten sich die arabischen Hedschas-Stämme 1916 unter Führung des legendären britischen Oberst Thomas E. Lawrence („Lawrence von Arabien“) am Kampf der Briten gegen die türkische Herrschaft und ihre deutschen Hilfskräfte. 

Im Frühjahr 1917 nahm die arabisch-britische Armee Bagdad ohne größeren Widerstand der zahlenmäßig unterlegenen Türken ein. 1918 zogen sie in Damaskus ein. Bis zum Waffenstillstand im September 1918 blieb Bagdad in arabischer Hand. Die Nationalisten sahen sie schon als neue Hauptstadt Großarabiens. Doch im Frieden mussten sie erfahren, was T. E. Lawrence später in einem bitteren Rückblick so formulierte: „Von Anfang an war es offenkundig, dass im Fall unseres Sieges diese Versprechungen nichts weiter waren als totes Papier. Und wäre ich ein ehrlicher Berater der Araber gewesen, hätte ich ihnen empfohlen, nach Hause zu gehen und nicht ihr Leben für so was zu riskieren.“

 

Die arabischen Hoffnungen auf Unabhängigkeit und politische Selbstbestimmung wurden nach dem Zusammenbruch des türkischen Reiches durch die Politik der Großmächte England und Frankreich jäh zerstört. Entgegen der gemachten Versprechungen, wonach das gesamte, den Türken abgenommene Gebiet den arabischen Verbündeten überlassen werden sollte, teilten sich Großbritannien und Frankreich Mesopotamien, Syrien und Palästina nebst angrenzenden Gebieten. Beide Mächte errichteten zwischen den Weltkriegen im nahen Osten eine neue Fremdherrschaft und unterdrückten die Freiheitsbestrebungen der arabischen Völker. Grundlage dieser Politik war das 1916 zwischen Großbritannien und Frankreich abgeschlossene und nach den Unterhändlern benannte geheime Sykes-Picot-Abkommen, in dem die beiden Mächte die Region nach Interessenssphären unter sich aufgeteilt hatten. Frankreich erhielt 1920 Syrien und den Libanon als „Mandatsgebiete“, Großbritannien den Irak (bestehend aus den drei osmanischen Provinzen Bagdad, Mosul und Basra), Transjordanien und Palästina.

 

 

Parallel zu dieser Entwicklung erhielt auch der jüdische Nationalismus Aufwind. Aus Furcht, der Zionismus könnte sich zugunsten des Deutschen Kaiserreiches erklären, hatte am 2. November 1917 die britische Regierung in der sogenannten Balfour-Deklaration, benannt nach ihrem Außenminister Lord Arthur James Balfour, auch den Vertretern des zionistischen Judentums die Errichtung einer „nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk“ versprochen. 

 

Die Briten hatten also zuerst das Gebiet den Arabern versprochen, dann sich selbst zugeschanzt und schließlich noch ein drittes Mal verteilt, in diesem Fall an die zionistische Bewegung. Aus dieser schwankenden und doppelzüngigen Schaukelpolitik, vor allem der britischen Regierung, resultiert in erheblichem Maße die heutige israelisch-arabisch-palästinensische Problematik. Denn beiden Seiten wurden Versprechungen gemacht, die nicht oder nur zu einem Teil erfüllt wurden. So gesehen tragen beide Parteien bis heute an den Folgen der kolonial-imperialistischen Epoche des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. 

 

Die Alliierten stimmten der Balfour-Deklaration zu, und 1922 übertrug der 1920 gegründete Völkerbund Großbritannien das Mandat für die Verwaltung Palästinas mit der Aufgabe, „im Land einen politischen, administrativen und wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der geeignet ist, die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk zu ermöglichen und gleichzeitig die Entwicklung von Einrichtungen einer freien Regierung sicher zu stellen dergestalt, dass die staatsbürgerlichen und religiösen Rechte aller Einwohner der Region geachtet werden“.

 

Zwischen 1880 und 1940 trafen rund 400.000 jüdische Siedler in Palästina ein und ließen sich friedlich auf dem Land nieder, das der Vorstand der Zionistischen Weltorganisation und verschiedene Fonds den arabischen Besitzern abgekauft hatten. Weil die Zionisten keine Kolonialmacht sein wollten, die ihren Wohlstand der Ausbeutung der lokalen Bevölkerung verdankte, verpflichteten sie sich, nur jüdische Arbeitskräfte einzusetzen. Die Araber sahen sich naturgemäß in ihren nationalen Hoffnungen enttäuscht und unternahmen schon in den Jahren 1920/21 erste Überfälle auf jüdische Siedlungen. Der Widerstand der Einheimischen gegen das zionistische Projekt war kein Geheimnis. Die vom amerikanischen Präsidenten Wilson eingesetzte King-Crane-Kommission berichtete bereits 1919, dass „die Zionisten die praktisch vollständige Enteignung der gegenwärtigen nicht-jüdischen Einwohner Palästinas anstrebten“ und meinte, dass letztere – „nahezu neunzig Prozent der Gesamtbevölkerung – leidenschaftlich gegen das gesamte zionistische Programm opponierten“. Dessen Durchsetzung, so warnte die Kommission, „wäre eine grobe Verletzung des Prinzips der Selbstbestimmung und des Völkerrechts“. Diese Warnung wurde von den Großmächten, die USA eingeschlossen, in den Wind geschlagen. 

 

Die Zusammenstöße in den 20er und 30er Jahren gipfelten 1929 in einem Massaker der arabischen Bevölkerung an den 
Juden von Hebron und von 1936 bis 1939 im Großen Arabischen Aufstand, den der Großmufti von Jerusalem, al-Husseini, gleichermaßen gegen die Juden wie die Mandatmacht Großbritannien inszenierte.

 

Immerhin erkannte der nüchterne Realist David Ben Gurion, der erste Ministerpräsident Israels, worum es dabei ging. In einer Rede erklärte er bereits 1937, dass „wir bei unserer politischen Argumentation im Ausland den arabischen Widerstand klein reden“, doch müssen „wir unter uns der Wahrheit ins Auge blicken. Wenn wir durch die Gründung des Staates zu einer starken Macht geworden sind, werden wir die Teilung aufheben und uns auf ganz Palästina ausdehnen. Politisch nämlich sind wir die Aggressoren, während sie sich selbst verteidigen (...) Das Land gehört ihnen, weil sie es bewohnen, während wir von draußen kommen und hier siedeln, und aus ihrer Perspektive wollen wir ihnen ihr Land wegnehmen, noch bevor wir hier richtig angekommen sind“. Der Aufstand „ist aktiver Widerstand seitens der Palästinenser gegen das, was sie als Usurpierung ihrer Heimat durch die Juden betrachten (...) Hinter dem Terrorismus steht eine Bewegung, die zwar primitiv, aber von Idealismus und Selbstaufopferung geprägt ist“.

 

Britische Truppen und zum Teil jüdische Verteidigungseinheiten schlugen den Aufstand mit beträchtlicher Brutalität nieder, nachdem das Münchner Abkommen von 1938 ihnen die Ent sendung umfangreicher Militärkräfte gestattete. Im Bericht einer britischen Regierungskommission wurde 1937 erstmals der Gedanke einer Teilung des Landes in einen jüdischen und einen arabischen Teil geäußert. Die arabische Seite lehnte jedoch diese Vorstellung kategorisch ab. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges (1939) änderte Großbritannien aus strategisch-taktischen Gründen seine bis dahin eher pro-jüdische Politik zugunsten einer deutlich pro-arabischen Orientierung. Als der Krieg mit Nazideutschland drohte, wollten die Engländer es sich nicht mit der arabischen Welt verderben. Sie brauchten das Öl des Nahen Ostens und Sicherheit für den Seeweg durch den Suezkanal. Nachdem unter arabischem Druck schon vorher die Zahl jüdischer Einwanderer gesenkt worden war, begrenzte die britische Regierung in einem „Weißbuch“ 1939 die jüdische Einwanderung nach Palästina auf 75.000 Menschen innerhalb der nächsten fünf Jahre. Nach diesen fünf Jahren sollte keine jüdische Einwanderung ohne Zustimmung der Araber erfolgen. 

 

Am 11. Mai 1942 wurde durch amerikanische Zionisten das „Biltmore-Programm“ veröffentlicht. In diesem forderten die Zionisten, dass Palästina in Anbetracht der Judenverfolgung in Deutschland zu einem rein jüdischen Staat gemacht werden solle. Großbritannien lehnte das ab und behielt das Ziel, einen jüdisch-arabischen Staat zu schaffen, bei. Um eine Ausbreitung der Unruhen zu verhindern, versuchten die Briten, die jüdische Einwanderung mit zum Teil brutalen Methoden zu stoppen. An dieser Politik hielten sie selbst angesichts des Holocaust bis 1947 fest. Viele Zionisten warfen den Briten daraufhin vor, sie hätten ihre Versprechen in Bezug auf eine „jüdische Heimstätte“ gebrochen, und schlossen sich „terroristischen“ Gruppen an, die innerhalb der zionistischen Bewegung Minderheiten waren. 

 

Als sich 1946 ein Kämpfer der militanten jüdischen Untergrundorganisation Irgun Zwai Leumi, abgekürzt Ezel (Ezel ist das Akrnonym der hebräischen Worte „Nationale Militärorganisation“) vor einem britischen Gericht verantworten musste, erinnerte seine Argumentation in fataler Weise an die Parolen, mit denen Palästinenser heute ihre Attentate rechtfertigen:

 

„Dieser Krieg ist ein Befreiungskrieg, der Krieg eines unterdrückten Volkes gegen seine Unterdrücker, eines Volkes, dem seine Heimat gestohlen wurde, gegen den, der sie gestohlen hat. Trotzdem nennt ihr die Mitglieder der jüdischen Armee ‚Terroristen’. Ein uralter missbräuchlicher Ausdruck, wie ihn alle Tyrannen gegen Kämpfer für die Freiheit mit der Absicht benutzen, deren Idealismus in den Schmutz zu ziehen“.

Zwischen 1940 und 1948 gelang es den Untergrundorganisationen, fast 100.000 Einwanderer nach Palästina einzuschleusen. Die wachsende Zahl von Neusiedlern, die immer mehr Grundbesitz kauften, gerieten in diesen Jahren in immer härtere Auseinandersetzungen mit den eingesessenen Arabern, die um ihre Rechte und Vorrechte bangten. 

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verschob sich das internationale Gewicht zugunsten der USA. Diese unterstützen die Forderung nach freier Einwanderung in Palästina, weil andere Staaten weiterhin die Aufnahme verweigerten. Ohne die Unterstützung der jüdischen Diaspora in Amerika hätte Israel vielleicht gar nicht entstehen können. Als den amerikanischen Juden das Ausmaß des Massenmordes an den europäischen Juden bewusst wurde, entstand aus ihrer bis dahin halbherzigen Unterstützung für den Zionismus eine Massenbewegung. Ein jüdischer Staat würde ein Zufluchtsort sein, bei dessen Aufbau man helfen könnte; er würde die Schuldgefühle der amerikanischen Juden lindern, die europäischen Juden nicht gerettet zu haben; und er würde ein Gegengewicht zu der damals verbreiteten Vorstellung von der Passivität der Juden bilden. 

 

Zwischen 1945 und 1948 waren mehr als zweieinhalb von insgesamt fünf Millionen amerikanischer Juden Mitglieder in einer der Organisationen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, einen jüdischen Staat zu schaffen. Bis 1948 hatten sie bereits die gewaltige Summe von 400 Millionen US-Dollar an Spenden für Not- und Entwicklungshilfe an Israel und für seine Verteidigung aufgebracht.

 

Juden und Araber in Palästina/Israel, 1882 - 1973

 

Jahr

Juden

Araber

Summe

1882

24.000

426.000

450.000

1914

85.000

600.000

685.000

1922

84.000

668.000

752.000

1931

175.000

859.000

1.034.000

1935

355.000

953.000

1.308.000

1940

464.000

1.081.000

1.545.000

1945

554.000

1.256.000

1.810.000

1948

650.000

156.000

806.000

1951

1.404.000

173.000

1.577.000

1954

1.526.000

192.000

1.718.000

1957

1.763.000

213.000

1.976.000

1961

1.932.000

247.000

2.179.000

1967

2.384.000

393.000

2.777.000

1973

2.845.000

493.000

3.338.000

 

Noch entscheidender war, dass eine groß angelegte Werbekampagne der amerikanischen Juden die amerikanische Öffentlichkeit dazu bringen konnte, die Gründung eines jüdischen Staates zu unterstützen. Nicht zuletzt bewog ihre unermüdliche Lobby Präsident Truman, sich diesem Ziel anzuschließen und den amerikanischen Einfluss auf die UNO zu nutzen, um eine Stimmenmehrheit für den Judenstaat zusammen zu bringen. 

 

Die britische Regierung verschärfte ihre äußerst restriktive Einwanderungspolitik; auch die Überlebenden des Holocaust durften nicht nach Israel einreisen. Unter dem Druck des dadurch eskalierenden Untergrundkampfes jüdischer Siedler und aufgrund der immer schwerer zu tragenden Bürde einer Kolonial macht gab Großbritannien zwei Jahre nach Kriegsende das Palästinamandat an die UNO zurück. Eine UN-Sonderkom-mission empfahl im Mai 1947 nach einer Reise durch Palästina die Beendigung des Mandats, den Abzug der britischen Truppen und die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Während die jüdische Führung dem Plan zustimmte, lehnten die Araber den Vorschlag ab. 

 

 

Nach ihrer Ansicht verstieß der Teilungsplan insbesondere gegen das Selbstbestimmungsrecht, denn – so wurde argumentiert – selbst in dem für den jüdischen Staat vorgesehenen Teil Palästinas wäre die Bevölkerungsmehrheit arabisch gewesen. Ferner hätte die Aufteilung die Araber zu sehr benachteiligt:

 

„Bei Beendigung des britischen Mandats befanden sich 94 Prozent der Gesamtfläche Palästinas in arabischen Händen, sechs Prozent dagegen in denen der Juden. Durch die Teilung gemäß UNO-Resolution sollten die Juden über 56 Prozent der Gesamtfläche Palästinas verfügen. Auf den 15.000 km2, die der neue jüdische Staat umfassen sollte, hätten etwa 500.000 Araber mit gleich vielen Juden zusammenleben müssen. In dem neuen arabischen Staat, dessen Fläche 11.600 km 2 betragen sollte, hätten etwa 750.000 Araber mit etwa 10.000 Juden zusammenleben sollen“.

 

Am 29. November 1947 stimmte die UN-Vollversammlung mit der Resolution 181 (II), in der ca. 43 Prozent des Mandatsgebietes für einen arabischen und rund 56 Prozent für einen israelischen Staat bestimmt wurde, für die Teilung Palästinas und die Internationalisierung des Gebietes von Jerusalem.


Die fünf Nahost-Kriege

Zu diesem Zeitpunkt betrug die Zahl der nichtjüdischen Bevölkerung Palästinas rund 1,2 Millionen, während die jüdische Bevölkerung auf etwa 600.000 angestiegen war. Angeführt von den beiden führenden Mächten USA und Sowjetunion, die die Gründung eines jüdischen Staates unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust unterstützten, spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass viele jüdische Überlebende der Konzentrationslager nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten (Polen und Ungarn erlebten 1946 eine Welle von Pogromen). 

 

Schon in den ersten Tagen nach der UN-Abstimmung am 29. November 1947 kam es zu schweren Angriffen der Araber in Jerusalem, Jaffa, Tel Aviv, im Norden des Landes und auf den Hauptverbindungsstraßen. Diese Angriffe entwickelten sich bald zu schweren Kämpfen im ganzen Land zwischen bewaffneten arabischen Einheiten und den jüdischen Milizen, der Haganah und der Palmach, mit denen jetzt auch die Irgun- und Lechi-Einheiten kooperierten. Am 15. Mai 1948 endete nach UN-Beschluss das britische Mandat über Palästina. Wegen des bevorstehenden Schabbats wurde der Staat Israel am Freitagnachmittag, dem 14. Mai 1948, von David Ben Gurion proklamiert und sofort von den USA und der Sowjetunion anerkannt. Am Tag danach (15. Mai) griffen Militärverbände aus Ägypten, Transjordanien, Syrien, dem Libanon und dem Irak den neuen Staat Israel an. Der erste israelisch-arabische Krieg, der sogenannte Unabhängigkeitskrieg hatte begonnen.

 

Am 15. Mai 1948 fielen ägyptische Bomben auf Tel Aviv und gleichzeitig überschritten arabische Truppen aus Ägypten, Jordanien, Syrien, dem Libanon und dem Irak, unterstützt von kleinen saudischen und jemenitischen Kontingenten, die Grenzen des ehemaligen Mandatsgebietes – der erste israelisch-arabische Krieg, den die Israelis als den Unabhängigkeitskrieg und die Palästinenser als die Nakhba – die Katastrophe – bezeichnen, hatte begonnen. Die fünf beteiligten Staaten schickten nicht ihre gesamten Streitkräfte nach Palästina, sondern lediglich einen Bruchteil: Gemeinsam mobilisierten sie weniger als 25.000 Mann – selbst nach Mannstärke war, was oft übersehen wird, die arabische Streitmacht also kleiner als die jüdische. Die Soldaten wurden überwiegend schlecht ausgebildet und bewaffnet, unkoordiniert und ohne funktionierendes Versorgungs- und Nachschubsystem in den Kampf geschickt. Ägypten entsandte im Mai 1948 nicht ganz 10.000 Mann, Jordanien 8.000, Irak 4.-6.000, Syrien zwischen 1.500 und 2.500, Libanon weniger als 1.000. Die arabische Befreiungsarmee der Palästinenser zählte zu diesem Zeitpunkt rund 4.000 Mann. 

 

Demgegenüber standen in der israelischen Armee mehr als 96.000 Mann. Sie verfügte über eine gut funktionierende Logistik und Infrastruktur, ein ausgebautes Nachrichtenwesen und teilweise moderne Ausrüstung. Ben Gurion hatte nämlich rechtzeitig das Risiko eines Krieges gegen reguläre arabische Armeeverbände erkannt, im Gegensatz zur Bekämpfung von auf sich allein gestellten palästinensischen Arabern, die keine existenzielle Gefahr für den zu gründenden Staat darstellen würden. Auf jüdischer Seite waren die Existenz- und Bedrohungsängste so kurz nach dem Holocaust sehr lebendig und ganz real. Der junge israelische Staat konnte seine Existenz erfolgreich behaupten, den arabischen Staaten wurde fast überall eine Niederlage zuteil. Am Ende der Kampfhandlungen sah sich Israel im Besitz eines Gebietes, das vor allem in Galiläa und z. T. auch im Zentrum des Landes erheblich größer war, als es der UN-Teilungsplan vorsah. Statt der ursprünglich 56 Prozent des Mandatsgebietes Palästina gehörten ihm nun 77 Prozent (siehe Karte Seite 6). 

 

Die meisten arabischen Bewohner waren geflohen. Dies geschah teils infolge arabischer Aufrufe, teils unter direktem israelischen Druck, teils in Panik angesichts des Terrors extremistischer jüdischer Organisationen. Die Flüchtlinge wurden von den arabischen Nachbarländern nicht eingegliedert, sondern dauerhaft in Lagern untergebracht. Während des Krieges von 1948 wurde mehr als die Hälfte der damaligen palästinensischen Bevölkerung von 1.380.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben (siehe Tabelle Seite 6). Während Israel offiziell behauptet, eine Mehrheit der Flüchtlinge sei lediglich geflohen, nicht aber vertrieben worden, erlaubte es den Flüchtlingen nicht zurückzukehren, wie es in der UN-Resolution 194 vom 11. Dezember 1948 gefordert worden war. So verschaffte sich Israel sein Territorium durch die ethnische Säuberung des ursprünglich von Palästinensern bewohnten Landes. Am 5.7.1950 verabschiedete das israelische Parlament das „Rückkehrgesetz“. Darin heißt es, „jeder Jude hat das Recht zur Einwanderung“. Von 550 verlassenen palästinensischen Orten wurden bis auf 120 alle zerstört, auch die Friedhöfe. Man wollte jegliche Erinnerung an eine palästinensische Geschichte auslöschen. In den verbliebenen Dörfern wurden jüdische Einwanderer untergebracht. So fanden über 200.000 sofort eine Wohnung. 

 

Nach dem notgedrungenermaßen eingegangenen Waffenstillstand blieb die arabische Absicht, „dieses jüdische Gebilde“ bei der ersten Gelegenheit zu beseitigen. Dem Waffenstillstand folgte kein Friedensschluss. Die arabischen Staaten lehnten direkte Verhandlungen und die Anerkennung Israels ab. Statt dessen duldeten sie einen Kleinkrieg bewaffneter Extremisten an Israels Grenzen. Die Gründung eines arabischen Staates in Palästina wurde ebenfalls strikt abgelehnt, weil darin eine Anerkennung der Teilung Palästinas (wie 1947 von der UN vorgesehen) gelegen hätte. Das Ergebnis dieses 1. Krieges war der Staat Israel in den von der UNO anerkannten Grenzen und rund 800.000 arabische Flüchtlinge.

 

War der erste Krieg von israelischer Seite her ein Kampf ums nackte Überleben, zeigte der zweite israelisch-arabische Krieg bereits ein anderes Gesicht. Die Aufbauphase Israels wurde von schweren Sicherheitsproblemen überschattet. Der Waffenstillstand war mehr als brüchig; immer wieder fielen Terrorkommandos aus arabischen Nachbarländern nach Israel ein. Mit der Revolution ägyptischer Offiziere am 23. Juli 1952, die König Farouk absetzten und nach kurzer Zeit Gamal Abdul Nasser an die Macht brachten, verschärfte sich die Lage im Nahen Osten erheblich. 1955 näherte sich das von Nasser regierte Ägypten dem Ostblock an, was noch im selben Jahr zu einem umfangreichen Waffenlieferungsvertrag mit der Tschechoslowakei führte. Als die USA diesen Schritt 1956 mit der Verweigerung einer Anleihe für die Errichtung des Assuan-Staudamms beantwortete und die Sowjetunion dafür einsprang (erstes Entwicklungsprojekt der SU in der arabischen Region), verstaatlichte Nasser den Suezkanal. Dieser Beschluss stellte eine direkte Herausforderung von Großbritannien und Frankreich dar, den Hauptteilhabern der Suez-Kanal-Gesellschaft.

 

Ägypten verhängte neben der Blockade der Straße von Tiran am Ausgang des Golfes von Akaba zum Roten Meer die Sperrung des Suezkanals für israelische und nach Israel fahrende Schiffe. Zug um Zug wurde die Halbinsel Sinai in ein ägyptisches Militärlager verwandelt. Ein Dreierbündnis zwischen Ägypten, Syrien und Jordanien verstärkte im Oktober 1956 die unmittelbare Bedrohung Israels. Am 29. Oktober 1956 antwortete Israel nach geheimen Absprachen mit Großbritannien und Frankreich, die gleichzeitig Truppen am Suezkanal landeten, mit dem präventiven Einmarsch in den Sinai und den Gazastreifen. In einem acht Tage dauernden Feldzug eroberten die israelischen Streitkräfte den Gazastreifen und die Halbinsel Sinai, dabei überschritten sie bis zu 16 Kilometer den Suezkanal. Ein gleichzeitiges Ultimatum des amerikanischen Präsidenten Eisenhower und des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin zwang Israel, sich in mehreren Etappen bis März 1957 aus den eroberten Gebieten zurückzuziehen und führte dazu, dass der Versuch Großbritanniens und Frankreichs, mit Hilfe Israels den Suezkanal durch eine Truppenlandung wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, scheiterte. Die Suez-Krise beendete endgültig die britische Herrschaft im Nahen Osten. Als Folge dieser in Frankreich als „Demütigung“ empfundenen Politik der Grossmächte USA und Sowjetunion kam es in Paris zum Entschluss einer eigenen Atomrüstung. Der Beschluss, UN-Friedens-truppen entlang der ägyptisch-israelischen Grenze zu stationieren und die Zusicherung Kairos, die freie Durchfahrt durch den Golf von Akaba zu garantieren, erleichterten Israel diese Entscheidung. Israel hatte sich zum ersten Mal in diesem, gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich begonnenen Krieg, als Aggressor erwiesen. 

 

Der dritte israelisch-arabische Krieg hatte weitreichende Konsequenzen. Er wurde ausgelöst, als Ägypten wieder den Golf von Akaba abriegelte und die arabischen Staaten, von der Sowjetunion aufgerüstet, Israel mit der totalen Zerstörung und der völligen Vertreibung aus Palästina drohten. Daraufhin begann Israel erneut mit einem Krieg. Im sogenannten Sechs-Tage-Krieg besetzten israelische Truppen die ganze Sinaihalbinsel, den Gazastreifen, das Westjordanland, Ost-Jerusalem und die syrischen Golanhöhen. Er gilt als ein Präventivschlag von israelischer Seite und hatte als direkte Folge die Verabschiedung der Resolution 242 durch die UN im November 1967. Eine Resolution, die bis heute die völkerrechtliche Grundlage aller Bemühungen um eine Friedenslösung im Nahen Osten geblieben ist. Diese Entschließung fordert unter anderem den „Rückzug der israelischen Streitkräfte aus den besetzten Gebieten“ sowie das Recht aller Staaten der Region, „innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen in Frieden und Freiheit von Drohung und Gewalt zu leben“. Dieser Krieg leitete aber auch Prozesse ein, die in den folgenden Jahrzehnten die Entwicklung im Nahen Osten maßgeblich bestimmten. Die Folgen dieses Krieges veränderten nämlich die geostrategische Landschaft des Nahen Ostens schlagartig. 

 

 

Nach diesem Krieg besaß Israel ein dreimal größeres Territorium als zuvor sowie die ganze Stadt Jerusalem und vor allem die jüdischen Kultstätten. „Soldaten der israelischen Armee! Wir haben keine expansionistischen Ziele“, hatte Verteidigungsminister Moshe Dayan am ersten Kriegstag noch erklärt. Doch als die Schlachten vorbei waren, gab es eine stillschweigende Übereinkunft, dass Israel sich nie mehr ganz zurückziehen wird auf die „Auschwitz-Grenzen“, wie der damalige Außenminister Abba Eban die Waffenstillstandslinien von 1948 nannte. Der Sechs-Tage-Krieg verschärfte allerdings das Palästinenser-Problem für Israel. Denn Hunderttausende Palästinenser kamen im Westjordanland, in Jerusalem und im Gazastreifen nun unter israelische Besatzung und Militärverwaltung. Das Flüchtlingsproblem nahm neue Dimensionen an, Landenteignungen und politische Repressionen führten zur Verstärkung des Widerstandes von palästinensischer Seite – nach 1967 formierten sich die wichtigsten Organisationen der palästinensischen Nationalbewegung. Auch die israelische Bevölkerung spaltete sich in Befürworter und Gegner der Besatzungspolitik. 

 

Der vierte israelisch-arabische Krieg zerstörte den Mythos der Unbesiegbarkeit der israelischen Armee. Am 6. Oktober 1973, am Jom-Kippur (Versöhnungstag, höchster Feiertag des jüdischen Jahres), starteten Ägypten am Suekanal und Syrien auf den Golanhöhen einen koordinierten Überraschungsangriff gegen Israel. Der Jom-Kippur-Krieg dauerte drei Wochen. Trotz der Anfangserfolge der arabischen Armeen konnten die israelischen Streitkräfte in erbitterten Kämpfen die Oberhand gewinnen und über den Suezkanal nach Ägypten und im Norden bis 32 Kilometer vor Damaskus vorstoßen. Dieser Krieg führte zu einer gefährlichen Zuspitzung der Konfrontation in der Region und trug, aufgrund der massiven Waffenhilfe sowohl von amerikanischer wie auch von sowjetischer Seite, auch das Risiko einer internationalen Ausweitung in sich. 

Die arabischen Staaten, die über die größten Erdölvorkommen der Welt verfügen, setzten, erstmals unter sich einig, in diesem Krieg das Erdöl als Waffe ein. Ein zeitweiliger Ölboykott und ständige Ölpreiserhöhungen wurden als Druckmittel, vor allem gegenüber westeuropäischen Staaten und den USA, benutzt. Der 4. Nahostkrieg endete, nachdem die USA und die UdSSR die feindlichen Parteien zu einem Waffenstillstand gezwungen hatten. Wieder einmal war die enge Verknüpfung der Supermächte in den Nahostkonflikt deutlich geworden. Einerseits lieferten sie Waffen für ihre Verbündeten, andererseits hatten sie Angst, dass Kriege in Krisenregionen sich ausweiten könnten. Auf Vorstöße israelischer Truppen reagierte die Sowjetunion meist mit militärischen Drohungen, während die USA ihrerseits Flottenverbände im östlichen Mittelmeer zusammenzogen. Der israelisch-arabische Gegensatz war auch zu einer Auseinandersetzung beider Supermächte um den größtmöglichen Einfluss in einem wirtschaftlich wichtigen Gebiet geworden.

 

Durch Vermittlung des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger schlossen Israel und Ägypten 1974 und 1975 zwei Truppenentflechtungs-Abkommen, die einen Teilrückzug Israels von der Sinaihalbinsel vorsahen. Kissinger vermittelte auch ein syrisch-israelisches Abkommen über eine Truppenentflechtung an der Golanfront. Der Ausgang des vierten Nahost-Krieges ebnete den Weg für eine Neuorientierung nahöstlicher Politik. Dies galt besonders für Israels Schutzmacht, die USA, die einerseits Israel zu einer flexibleren Haltung gegenüber den Arabern drängten, andererseits aber auch gemäßigte arabische Staaten wie Ägypten und Jordanien von der Notwendigkeit einer Anerkennung Israels überzeugten.

 

Der fünfte und letzte israelisch-arabische Nahost-Krieg, der auch der längste Krieg in der israelischen Geschichte war, zeigte vor allem in Israel selbst Wirkung. Im Norden des Landes war Israel seit 1970 zunehmenden Terroraktionen durch die PLO (Palestine Liberation Organization, 1964 als politischer und militärischer Dachverband der für einen unabhängigen palästinensischen Staat kämpfenden Gruppierung gegründet) ausgesetzt, die sich im Südlibanon eine Operationsbasis geschaffen hatte. Bereits 1978 eroberte Israel im Südlibanon eine sogenannte „Sicherheitszone“, die den Nordteil Israels vor Terroranschlägen verhältnismäßig sicher machte. Ein von den USA vermitteltes, informelles Einverständnis zwischen Israel und der PLO verminderte zudem noch die Angriffe palästinensischer Kommandos. Allerdings versuchte die PLO, größere Militäreinheiten im Südlibanon zu stationieren. Dieses Vorgehen und den Anschlag einer radikalen PLO-Gruppe auf den israelischen Botschafter in London nahm Israels damaliger Verteidigungsminister Ariel Scharon zum Anlass für einen großangelegten militärischen Vorstoß in den Libanon am 6. Juni 1982.

 

Dabei stießen israelische Truppen bis nach Beirut vor. Sie zerschlugen das Potential und die militärische Infrastruktur der PLO im Libanon und zwangen die palästinensischen Kämpfer zum Abzug aus Beirut. Aber erstmals in der Geschichte der Nahostkriege fand eine Militäraktion der israelischen Armee nicht den ungeteilten Beifall der eigenen Bevölkerung. Hunderttausende gingen in Tel Aviv auf die Straße, protestierten und forderten den Rückzug aus dem Libanon. Damit gaben sie der „Frieden-Jetzt-Bewegung“, die nach dem Besuch des ägyptischen Präsidenten Anwar al Sadat in Jerusalem im Frühjahr 1978 gegründet worden war, neue Impulse. Je länger die Stationierung der Truppen im Libanon dauerte, desto größer wurden die täglichen Verluste der israelischen Armee. Die Soldaten gerieten immer wieder in Hinterhalte, insbesonders der schiitischen Hisbollah-Miliz („Partei Gottes“). 

 

Das Ergebnis des Krieges waren rund 11.000 Tote auf libanesisch-palästinensischer Seite. In das Gedächtnis der Menschen prägten sich die Namen Sabra und Shatila ein, zwei Flüchtlingslager, in denen unter den Augen und mit Billigung der israelischen Militärführung unter Scharon christliche Milizen der SLA (Südlibanesische Armee) im Sept. '82 Massaker an 700 bis 1500 palästinensischen Männern, Frauen und Kindern durchführten. Eine israelische Kommission hat nach dem Libanonkrieg 1982 Scharon Mitverantwortung für das Massaker gegeben, weshalb er nie wieder das Amt des Verteidigungsministers ausüben durfte. Im Laufe des Jahres 1985 zog sich Israel aus dem größten Teil des Libanon zurück. Es behielt aber bis zum Mai 2000 die Kontrolle über die sogenannte „Sicherheitszone“. 

 

 

BEGINN - ENDE - AGGRESSOR - „OPFER“ DES ANGRIFFES - ERGEBNIS

1. Nahost-Krieg

15. Mai 1948 – März 1949 Unabhängigkeitskrieg

Ägypten, Jordanien, Syrien, Libanon, Irak

Israel

Landgewinn für Israel: Teile Gäliläs, Samarias, Judäas und des Negevs aber Verlust des Gazastreifens an Ägypten

2. Nahost-Krieg

29. Oktober – 6. November 1956 Sinai Feldzug / Suez Krieg

Israel, Großbritannien, Frankreich, Ägypten

Vorübergehende Besetzung des Sinais und des Gazastreifens durch Israel

3. Nahost-Krieg

5. – 10. Juni 1967 Sechs-Tage Krieg / Junikrieg

Israel, Ägypten, Syrien, Jordanien

Besetzung der syrischen Golanhöhen, des Westjordanlandes und jordanisch besetzten Ostjerusalems, des Gazastreifens und der gesamten ägyptischen Sinai-halbinsel durch Israel

4. Nahost-Krieg

6. – 24.Oktober 1973 Jom- Kippur-Krieg / Oktoberkrieg

Ägypten, Syrien, Jordanien,Israel

Status Quo Ante bleibt erhalten

5. Nahost-Krieg

6. Juni 1982 – Mai 2000 Schlom ha-Galil (Frieden für Galiläa)

Israel, Libanon, Syrien

Vormarsch der israelischen Armee bis in die Mitte des Libanon



 

Die Quintessenz der Nahostfrage: Besetztes Land - Macht und Unrecht

Israel besetzt auf Grund seiner militärisch-strategischen Überlegenheit das ganze Land zwischen Jordan und Mittelmeer und will den Palästinensern nicht jenen Anteil davon herausgeben, welchen diese als faire Abgeltung ihrer nationalen Rechte betrachten. Ganz im Gegenteil, es verstärkt seinen Griff auf Westjordanland und den Gazastreifen weiter durch eine forcierte Besiedlung. Es handelt sich also um einen reinen Machtkonflikt, einen Territorialkonflikt, der durch das massive Ungleichgewicht der Waffen und die westliche Unterstützung Israels im Status des Unrechts erhalten wird. Die westlichen Länder treiben unter Amerikas Führung zwar einen Friedensprozess voran, der mit der Vorgabe von UNO-Resolution 242 und dem Verbot des Erwerbs von Territorien begann und mittlerweile bei der Rede von der Notwendigkeit eines palästinensischen Staates angelangt ist. 

Doch keines hat es bisher gewagt, deutlich und klar von Israel die Herausgabe aller besetzten Gebiete mitsamt Ostjerusalem zu fordern. Sie übernehmen allzu gern Israels Rechtfertigungen unter dem allgegenwärtigen Aspekt der Sicherheit – um nach dem Jahrhunderttrauma des Holocausts nur ja nicht in den Verdacht zu geraten, erneut Juden einer politischen Gefahr aussetzen zu wollen. Der große Betrug des Friedensprozesses liegt für die Palästinenser im Verschweigen der wahren Forderungen an sie: Sie sollen sich mit deutlich weniger zufrieden geben als dem, was mit völkerrechtlichen Argumenten aus den UN-Resolutionen abzuleiten ist und was in der Weltorganisation re gelmäßig mit erdrückenden Mehrheiten als Regel bekräftigt wird. Dieses ist gerade mal 23 Prozent des ehemaligen Mandatsgebietes Palästina, während Israel sich rechtmäßig 77 Prozent davon zueignen dürfte. 

Wenn junge Palästinenser, von umfassender Aussichtslosigkeit und politischer und religiöser Agitation zum Äußersten getrieben, sich in einem letzten Massaker mitten unter unschuldigen Israeli in die Luft sprengen, so heißt das Terrorismus und die Verantwortung wird dem ganzen palästinensischen Volk aufgebürdet. Wenn israelische Panzerkolonnen und Kampfbomber Ziele mitten in dichtest besiedelten Städten oder Lagern bombardieren, so gilt das als legitime Selbstverteidigung. Wenn israelische Absperrungspolitik monate- und jahrelang palästinensische Ortschaften der Blockade unterwerfen, uralte Olivenbäume radikal abholzen, um ein besseres Schussfeld zu haben, wirtschaftliches Leben, politische und soziale Organisation weitestgehend verunmöglichen und ein ganzes Volk unerbittlich in die nackte Armut treiben, so sollen das nötige Sicherheitsvorkehrungen sein. Weil Israel ein anerkannter Staat mit durchstrukturierten Streitkräften ist, erkennt die Welt ihm das Recht auf bewaffnete Durchsetzung seiner nationalen Interessen zu. Wenn aber das palästinensische Gemeinwesen sich mit Waffen gegen die israelischen Besetzer verteidigt, so erkennt der Westen dies nicht als legitimen Widerstand an; und die nur dem Gesetz der Gewalt verpflichteten palästinensischen Extremisten zementieren dieses Vorurteil nach Kräften. 

Im folgenden werden einige Probleme angesprochen, die gelöst werden müssen, damit ein Friedensprozess möglich wird:

 

a) Israelische Siedlungen in den besetzten Gebieten

Am 21. Oktober 1948 verhängte Israel das Kriegsrecht, das der Militärverwaltung erlaubte, die Bewegungsfreiheit der Palästinenser im Kernland Israel total zu kontrollieren und einzuschränken. Kein Palästinenser konnte seinen Wohnort oder Distrikt ohne die Genehmigung des Militärgouverneurs verlassen. Galiläa war in über fünfzig Militärbezirke eingeteilt. Dieses Militärregime erwies sich als ein sehr effizientes Kontrollinstrument, da es die palästinensische Gemeinschaft spaltete. 

 

Noch verheerender als das Militärregime wirkte sich das 1950 erlassene „Absentee Property Law“ aus, das die Palästinenser zu „Anwesend-Abwesenden“ erklärte, deren Besitz durch einen Vormund (Custodian of Absentee Property) verwaltet werden musste, bevor er in jüdischen Privatbesitz oder Staatseigentum überging. Dieses Gesetz erlaubte dem Staat, sowohl Land von Palästinensern zu konfiszieren, die Israel verlassen hatten, als auch von jenen, die geblieben waren. 1947 gehörten den Palästinensern 93 Prozent des Landes, als öffentliches oder privates Eigentum; die restlichen 7 Prozent waren in der Hand der jüdischen Gemeinschaft. Heute beträgt der Anteil privaten palästinensischen Grundeigentums nur noch 15 Prozent des Territoriums, das 1947 Palästina ausmachte, 10 Prozent davon entfallen auf das Westjordanland und den Gazastreifen. Laut Schätzungen unterlag die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung Israels der Kategorie „abwesend“. Bis 1953 wurden ca. 370 jüdische Siedlungen errichtet, davon 350 auf als verlassen deklariertem Land. Bis 1965 ermöglichte das Gesetz über die Abwesenheit und auch andere Gesetze der israelischen Regierung, ca. 100.000 Hektar Land zu konfiszieren, rund 400 Dörfer und 10 Städte. 

 

Unmittelbar nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 begann die Regierung mit der Integration der besetzten Gebiete. Ost-Jerusalem wurde annektiert und die Stadtgrenze auf das Westjordanland ausgedehnt.

 

 

Neue jüdische Siedlungen und sogenannte „heachsujet“(Vorposten) entstanden, und aus einigen Bereichen der Altstadt wurden die Araber vertrieben. In den besetzten Gebieten kam es zur Errichtung von zunächst paramilitärischen, dann dauerhaft zivilen Siedlungen. Eine militärische Verwaltung wurde eingesetzt und bis heute aufrechterhalten. Die Besiedlung erfolgte zunächst ohne Genehmigung der Regierung, die jedoch in den meisten Fällen nachträglich erteilt wurde. Zum Zeitpunkt der Osloer Prinzipienerklärung im September 1993 existierten 150 jüdische Siedlungen mit insgesamt 120 000 Bewohnern im Westjordanland, 16 Siedlungen mit insgesamt 4500 Personen im Gazastreifen und 9 Siedlungen mit etwa 160 000 Siedlern in Ostjerusalem. 

 

Trotz der Bestimmung der Grundsatzerklärung des Osloer Abkommens, dass beide Parteien den Status Quo, der zum Zeitpunkt des Abkommens existierte, nicht durch einseitige Aktionen verändern sollten, wurde der Ausbau von Siedlungen von israelischer Seite her bis heute fast unvermindert fortgesetzt. Seit 1993 hat sich die Zahl der Siedlungen verdoppelt, die Zahl der Siedler verdreifacht. 380.000 Siedler leben im Westjordanland (damit sie unter rund 1,7 Millionen Palästinensern leben können, werden sie rund um die Uhr geschützt von zehntausenden Soldaten), von ihnen wiederum 170.000 im Gürtel der als Stadtviertel bezeichneten Vororte rund um Jerusalem. Die Siedler wohnen auf 1,7 Prozent des Westjordanlandes, sie kontrollieren aber mit Straßen und Kontrollzonen auf angeeignetem Land 42 Prozent. Im Gazastreifen ist das Missverhältnis noch größer: Dort leben 6.000 Siedler unter 1,3 Millionen Palästinen-sern, wobei die Siedler über die Filetstücke am Meer verfügen und über reichlich Platz: sie leben auf 115 Quadratkilometern Land ,die Palästinenser auf 250 Quadratkilometern. Insgesamt existieren mehr als 200 Siedlungen im Westjordanland und 17 Siedlungen im Gazastreifen. Etwa achtzig Prozent der Siedler leben in Siedlungsblöcken, während die übrigen zwanzig Prozent in Dutzenden von kleinen Ortschaften, verstreut über den Gazastreifen und die Westbank, wohnen. Jährlich fließen 250 Millionen Euro in den Unterhalt der Siedlungen, 33 Milliarden Dollar hat Israel nach Expertenschätzungen bislang für die Siedlungen und ihren Schutz ausgegeben. Den 97 Prozent der Israelis, die im sogenannten Kernland leben, stehen die 3 Prozent der Siedler in den besetzten Gebieten allerdings als verschwindend kleine Minderheit gegenüber. 

 

Würde diese Expansionsbewegung eingefroren, bzw. käme es zu einer Kehrtwendung in der Siedlungspolitik, wären von den religiös motivierten Siedlern heftige Proteste zu erwarten. Ihren Anspruch auf das Westjordanland, das sie in Anlehnung an die Bibel „Judäa“ und „Samaria“ nennen, begründen die meist tiefgläubigen Siedler mit dem Alten Testament. Im vierten Buch der fünf Bücher Moses heißt es in einer Passage: „Und sollt das Land einnehmen und darin wohnen, denn euch habe ich das Land gegeben, dass ihr’s in Besitz nehmt“. Das orthodoxe Judentum der Siedler ist vom Warten auf den Messias geprägt, ein Leben lang. Sie beten und hoffen, dass der Messias eines Tages erscheine. Sie achten den Schabbat und die anderen 612 Gebote und Verbote der Thora, die Frauen wahren das Keuschheitsgebot und halten sich mit langen Röcken und Hüten bedeckt. An anderer Stelle im fünften Buch Moses heißt es: „Alles Land, darauf eure Fußsohle tritt, soll euer sein“. Die jüdischen Siedler ziehen daraus den Schluss: Sollten Judäa und Samaria je aufgegeben werden, würde der Messias nicht erscheinen und den dritten Tempel nicht bauen. Die Klagemauer in Jerusalem ist nach jüdischer Überlieferung der Rest des 70 n. Chr. zerstörten zweiten Tempels. Während diese relativ kleine, radikale Gruppe in der Gesellschaft jedoch selbst wenig Rückhalt hat, sieht sich die Regierung nicht in der Lage, die vielen hunderttausend gemäßigten Siedler in der Nähe der israelischen Metropolen „im Stich“ zu lassen. Es ist jedoch auch für eine palästinensische Regierung untragbar, auf ihrem Staatsgebiet Siedlungen einer „fremden“ Nation, sprich israelische Siedlungen mit israelischen Staatsbürgern, die zudem von Militärkräften bewacht werden, zu akzeptieren.

 

 

b) Grenzen

 

Untrennbar verknüpft mit der Siedlungsfrage und von ihr abhängig ist die Thematik der Grenzziehung bzw. die Frage, welche Grenzen ein zukünftiger palästinensischer Staat haben soll. Der in der am 29. November 1947 von der UN verabschiedeten Resolution 181 (II) geplante Teilungsplan wurde nie realisiert. Die Resolution sah die Aufteilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vor. Das Scheitern dieses Teilungsplan hatte mehrere Kriege zur Folge. Die Intervention der arabischen Staaten gegen die Staatsgründung Israels 1948 führte zur Vertreibung von ca. 800.000 Palästinensern. Nach der Suezkrise 1956 musste sich Israel wieder zurückziehen, doch im Sechstagekrieg von 1967 eroberte es den Rest Palästinas – Westjordanland und Gaza-Streifen – sowie den Sinai und die Golanhöhen. Die Teilerfolge Syriens und Ägyptens im Jom-Kippur-Krieg 1973 führten zu neuen diplomatischen Initiativen. Das Abkommen von Camp David (1978) brachte keinen Durchbruch in der Palästinafrage. Israels Versuch, den palästinensischen Widerstand durch die Invasion im Libanon (1982) zu zerschlagen, blieb ohne Erfolg. Nachdem die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) ihre Stützpunkte in den Nahbarstaaten verloren hatte, ging die Initiative im Kampf für die nationale Selbstbestimmung auf die Palästinenser in den besetzten Gebieten über. Die erste Intifada(1987 – 1991) trug dazu bei, dass die Osloer-Verträge von 1993 geschlossen wurden. Die Al-Aksa-Intifada (seit September 2000) beantwortete Israel mit der Rücknahme fast aller Ergebnisse des Friedensprozesses und der erneuten Besetzung der so genannten Autonomiegebiete.

 

Zum aktuellen Zeitpunkt (Stand Januar 2003) existieren im Gebiet des geographischen Palästinas zwei politische Einheiten: der Staat Israel und die autonom verwalteten Gebiete (Westjordanland, Gazastreifen und Ostjerusalem). Die zwischen diesen Einheiten existierenden Grenzen sind Gegenstand heftigster Kontroversen.

Der israelische Anspruch ist nicht eindeutig, sondern teilt sich eigentlich in drei Begründungsvarianten:

 

Ÿ  die israelisch-zionistische Variante gemäß der in der Bibel nachzulesenden göttlichen Zusage (5. Moses 34, 1 – 4),

Ÿ  die israelisch-jüdische, sich auf die Grenzen von 1948 als die “Grenzen von Auschwitz” berufend und 

Ÿ  die israelisch-israelische, welche die Legitimation des Staates Israel durch dessen bloße Existenz alleine gegeben sieht.

 

Für die Muslime, also auch die Palästinenser, war das Heilige Land kein Ort arabisch-nationaler Volksgeschichte. Es war, wie beim Christentum, der Ort ihrer Heilsgeschichte – eines winzigen, wenngleich sehr wichtigen Teils ihrer Heilsgeschichte, nämlich Mohammeds Nachtreise nach Jerusalem. Die arabi-sche Bevölkerung Palästinas kann jedoch auf eine kon-tinuierliche Siedlungsgeschichte bzw. Staatlichkeit bis 1948 bzw. 1967 in diesem Gebiet zurückblicken, die nur während der Kreuzzüge für rund 230 Jahre unterbrochen wurde, während die Zeit der jüdischen Staatlichkeit insgesamt nur knapp 560 Jahre betrug, nämlich von 1000 bis knapp 600 v. Chr., zur Zeit des Makkabäerstaates knapp 100 Jahre und seit Gründung des Staates Israel knapp 60 Jahre. Dem absoluten Anspruch der Juden auf das Gelobte Land traten die islamischen Geistlichen Anfang der 1930er Jahre entgegen, indem sie Palästina zum „Wakf“ erklärten, zur Heiligen Erde für alle Muslime (Heilige Erde ist nach muslimischer Auffassung das Gebiet, das im Laufe der Geschichte einmal islamisch geworden war). Die Entwicklung einer politischen Eigenheit der Palästinenser ist eine irreversible Entwicklung: Vor 1948 fühlten sich die Araber in Palästina nicht als Nation, sondern als Araber, die in Palästina lebten. Erst die Erfahrung von Krieg, Flucht und Kampf schuf eine gemeinsame, spezifisch palästinensische Identität, und in den Jahren seit 1967 wurde Palästina nach und nach zu einer distinkten politischen Einheit.

 

c) Wirtschaft

 

In direkter Abhängigkeit von der Siedlungsfrage und der Frage der Grenzziehung steht die wirtschaftliche Entwicklung sowohl in Israel selbst wie auch in den besetzten Gebieten. Zum ersten Mal seit 1953 ist die israelische Wirtschaft Ende 2001 in die Rezession gerutscht, nachdem es 2000 noch ein plus von 6 Prozent gab. Auch im Jahr 2002 hat sich die Rezession fortgesetzt. Mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von einem Prozent hat Israel im abgelaufenen Jahr 2002 an letzter Stelle der Industriestaaten hinter Japan (- 0,7 Prozent) und der Schweiz (- 0,2 Prozent) gelegen. Das Land hat fast die Hälfte seiner ausländischen Direktinvestitionen eingebüßt: Sie sind von 11 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 6 Milliarden Dollar im Jahr 2002 gesunken. Nur die israelische Rüstungsindustrie wächst im Moment, von amerikanischer Seite her subventio niert, kräftig weiter. Seit dem Beginn der Unruhen in den Palästinensergebieten Ende September 2000 bis zum Ende 2002 entstanden nach offiziellen israelischen Angaben Kosten von rund 2,75 Milliarden Dollar. Wenn man das israelische Bevölkerungswachstum von mehr als zwei Prozent pro Jahr einberechnet, führte die Rezession zu einem Rückgang des BIP pro Kopf der Bevölkerung von über drei Prozent bei einer Inflationsrate von konstant 7%. Die Zahl der Arbeitslosen stieg um einen Prozentpunkt auf 10,4 Prozent (tatsächlich über 13%, weil viele Langzeitarbeitslose nicht mehr gemeldet sind). Dazu fielen die Exporte um 13 Prozent und auch die Entwicklung im Tourismussektor, bisher ein Standbein der israelischen Wirtschaft, ist stark rückläufig - die Zahl der ankommenden Touristen hat sich auf etwa ein Drittel reduziert. 

 

Mehr als 18% der Israelis leben inzwischen unterhalb der Armutsgrenze und sind auf öffentliche Speisungen und Wohnungszuschüsse angewiesen. Das Sechs-Millionen-Volk verarmt, das Land ist marode. Tausende junger Familien verlassen ihre Heimat, und die Einwanderungszahl ist deutlich rückläufig; von 2000 bis 2002 ist sie um 28% gesunken.

 

Die Besatzung war für Israel wirtschaftlich gesehen ein Gewinn. Bis zur ersten Intifada nach zwanzig Jahren war die Kostenrechnung mehr als ausgeglichen. Die palästinensische Bevölkerung musste Steuern zahlen und die besetzten Gebiete entwickelten sich zwangsläufig zum Absatzmarkt für israelische Produkte und Dienstleistungen. Michael Ben Jair, Generalstaatsanwalt in der Regierung Rabin, schrieb kürzlich in Ha’aretz: „Der Sechs-Tage-Krieg wurde uns aufgezwungen, aber der siebte Tag des Krieges, der am 12. Juni 1967 anbrach, dauert bis heute an und resultiert aus unserer eigenen Entscheidung. Mit Begeisterung sind wir zu einer Kolonistengesellschaft geworden, die internationale Verträge missachtet, Grund und Boden beschlagnahmt, Siedler aus Israel in die besetzten Gebiete verbringt, Diebstahl begeht und für all das noch irgendwelche Rechtfertigungen findet.“ Das sind harte Worte, doch der tragische Wahnsinn liegt darin, dass Ben Jair solche Ansichten erst heute und nicht schon zu seiner aktiven Zeit als Generalstaatsanwalt zu Papier brachte. 

 

Auch auf palästinensischer Seite zwingen die Schäden für die Wirtschaft die Autonomiebehörde in die Knie. Nach Angaben der Weltbank ist die Hälfte des palästinensischen Bruttosozialprodukts von etwa 4,5 Milliarden Dollar verloren gegangen. Absperrungen und Ausgangssperren verursachen der palästinensischen Wirtschaft enorme Kosten: Nach Schätzungen der Vereinten Nationen hat ein Absperrungstag Verluste in Höhe von etwa 2,4 Millionen US$ zur Folge. Die Arbeitslosenquote im Westjordanland liegt mittlerweile bei 53 Prozent. Im Gazastrei fen, wo die Überbevölkerung am schlimmsten ist, liegt die Arbeitslosenquote sogar noch höher, nämlich derzeit bei 68 Prozent. Nur die Zahlungen palästinensischer Arbeiter aus dem Ausland und natürlich vor allem aus Israel selbst führen zu einem Zufluss von finanziellen Mitteln. 

 

Und dies alles angesichts der Tatsache, dass die USA und die Länder der Europäischen Union sowie die Weltbank und andere Organisationen seit 1993 rund fünf Milliarden Dollar in den vermeintlich im Entstehen begriffenen palästinensischen Staat investiert haben. Die Summe muss als verloren abgeschrieben werden, denn Arafats Quasi-Staat, gegründet 1993 in Oslo, wird in diesen Tagen offenbar zu Grabe getragen. Die Gesamtverluste an Bruttoinlandseinkommen über einen Zeitraum von 27 Jahren haben inzwischen rund 5,4 Mrd. US$ erreicht. 

 

Nach Angaben der UN müssen 75 Prozent der Gesamtbevölkerung in den besetzten Gebieten mit weniger als 2 Dollar (Armutsgrenze) am Tag auskommen. Vor Beginn der Unruhen lag diese Quote noch bei 21 Prozent. 30 Prozent aller Kinder unter 5 Jahren leiden an chronischer Unterernährung, 48 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter zeigen Symptome von Anämie. Die 25.000 Dollar, die Sadam Hussein an die Familien eines jeden Selbstmordattentäters zahlte, stellten also oftmals die Existenz ganzer Familien sicher. Daraus wird ersichtlich, dass ein dauerhafter Frieden nur dann wirklich möglich sein wird, wenn sich die Lebensumstände in den Autonomiegebieten wesentlich verbessern. Die israelische Regierung hat, um den Siedlern sichere Verkehrswege zu bieten, die palästinensischen Enklaven hermetisch abgeriegelt.

 

Nach Angaben von Weltwährungsfond (IWF) und Weltbank waren diese Maßnahmen der entscheidende Faktor für den Niedergang der palästinensischen Wirtschaft und die Probleme beim Aufbau staatlicher Institutionen. 

 

Die jahrzehntelange Politik Israels bestand darin, die Entwicklung einer unabhängigen Wirtschaft in den besetzten Gebieten zu verhindern, aber auch gleichzeitig eine Verbesserung der jüdischen Lebensbedingungen zu erzielen. Hier nun schließt sich der Kreis: Die Lebensbedingungen für die Palästinenser in den besetzten Gebieten werden immer unerträglicher aufgrund der zusammenbrechenden Wirtschaftsstruktur – eine Ursache dafür ist in der israelischen Siedlungspolitik zu finden – andererseits muss aber auch die israelische Regierung immer mehr finanzielle Mittel aus anderen Bereichen ihrer ohnehin stagnierenden Wirtschaft abziehen, um den ungeheuren Aufwand, den die Aufrechterhaltung der harten politischen Linie erfordert, finanzieren zu können – und wirtschaftliches Elend geht Hand in Hand mit politischer Radikalisierung einher.

 

d) Flüchtlinge

Das Flüchtlingsproblem stellt ein zentrales Thema des politischen Prozesses dar – ein Thema, welches jedoch auch, ebenso wie die „Jerusalem-Frage“ – zum Gegenstand der Endstatusverhandlungen erklärt wurde. Die Statusfrage selbst ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Palästinenser sind, laut Definition, alle die Araber und deren Nachkommen, die 1947 im Mandatsgebiet Palästina lebten. Das Grundlagenabkommen von Oslo unterscheidet allerdings zwei Gruppen von Palästinensern, je nachdem, ob sie das Land bereits 1948 oder erst 1967 verlassen haben.

Die Erstgenannten sind „Flüchtlinge“, die Letztgenannten heimatlose „displaced persons“. Der Status der „Heimatlosen“ muss von einem israelisch-palästinensischen Komitee, dem unter anderem auch Vertreter von Ägypten und Syrien angehören, geklärt werden, der Status der „Flüchtlinge“ ist hingegen erst Gegenstand der Endstatusverhandlungen. Generell zur Debatte steht, wer die Verantwortung für die „Flüchtlinge“ bzw. für die “Heimatlosen“ trägt und ob und inwiefern sie ein Recht auf Entschädigung und/oder Rückkehr in die Heimat und wohin dort haben.

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Die UNO war sich der Tragweite des Palästinenserproblems bewusst und schuf bereits 1948 ein eigenes Sonderorgan für die palästinensischen Flüchtlinge, das UNRWA. Die UNO erkannte den Flüchtlingen das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat zu oder, sofern sie nicht zurückkehren wollten, das Recht auf eine Entschädigung. Durch die Abwanderung der Palästinenser verschob sich in Israel das demographische Gleichgewicht zugunsten der Juden, und Israel nahm die entvölkerten Landstriche in Besitz. Jedoch erkannte die Arabische Liga sehr schnell, welche Vorteile sie aus dem Flüchtlingsproblem ziehen konnte. 

Die Politik der Arabischen Liga bestand darin, eine Integration in den arabischen Ländern zu verhindern, um das Flüchtlingsproblem weiterhin als Waffe gegen Israel einsetzen zu können. Damit wurde die Situation der Palästinenser zum Angelpunkt des arabischen Nationalismus. Die Einheit der arabischen Staaten sollte im Namen der Rückeroberung von Palästina zustande kommen. Die Position der internationalen Gemeinschaft ist eindeutig: Bereits im Dezember 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Resolution 194 (III), die das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge anerkannte und in der eine Repatriierung und Entschädigung der Betroffenen gefordert wird.

Insgesamt flohen 1948 rund 80 Prozent der arabisch-palästinensischen Gesamtbevölkerung, davon ein Drittel ins Westjordanland, ein Drittel in den Gazastreifen und das letzte Drittel verteilte sich auf Jordanien, Syrien und den Libanon. Nachdem der Status eines Flüchtlings erblich ist, hat sich die palästinensische Diaspora von 914.000 im Jahr 1959 auf 3.926.787 am jüngsten Stichtag vermehrt. So viele Palästinenser sind bei der UNRWA registriert worden. Davon leben rund ein Drittel, nämlich 1.247.107, auch heute noch in Flüchtlingslagern. Die Palästinenser stellen somit die grösste Flüchtlingsgemeinschaft weltweit dar.

Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten, Stand 31. Dezember 2001

(Alain Gresh, Israel - Palästina, Zürich 2002, Seite 188)

e) Die Jerusalem-Frage

Jerusalem - übersetzt die „Stadt des Friedens“ - ist ein Ort, der allen drei monotheistischen Weltreligionen, dem Christentum, dem Islam und dem Judentum, heilig ist. Die Stadt liegt im Westjordanland und bildet den sensibelsten Punkt im politischen Prozess - ein Punkt, über den, wie im Osloer Grundsatzabkommen von 1993 festgelegt, jedoch erst im Rahmen der Endstatusverhandlungen entschieden werden soll, von dem aber sowohl die Israelis wie auch die Palästinenser die Durchsetzbarkeit eines permanenten Friedensvertrags abhängig machen.

Als die Vereinten Nationen 1947 die Resolution Nr. 181 (II), die sogenannte Teilungsresolution verabschiedeten, war darin vorgesehen, die Stadt unter internationale Kontrolle zu stellen und ihr einen besonderen völkerrechtlichen Status zuzuerkennen. 1948/49, während des ersten arabisch-israelischen Krieges, wurde der Westteil der Stadt jedoch von israelischen Truppen besetzt, daraufhin im Februar 1949 von der israelischen Regierung annektiert und zur Hauptstadt erklärt. Der Ostteil wurde von Jordanien besetzt und ebenfalls annektiert. Diese Zweiteilung wurde von den Vereinten Nationen jedoch nie akzeptiert. Durch den Krieg von 1967, in dessen Verlauf Israel auch Ostjerusalem besetzte, wurde die Teilung allerdings wieder aufgehoben – zur formellen Annexion kam es schließlich durch die Verabschiedung des „Jerusalem-Gesetzes“ von 1981.

Auch die Kontrolle über die heiligen Stätten stellt ein brisantes Politikum dar. Im Grundlagenabkommen von Oslo wurde Israel die Verantwortung über die heiligen Stätten in Jerusalem zugesprochen. Im israelischen Friedensvertrag mit Jordanien im Oktober 1994 wurden jedoch dem jordanischen König, der gleichzeitig auch der Scherif von Mekka ist, die Verantwortlichkeiten dafür übertragen. Yassir Arafat bestreitet jedoch die Legitimität dieses Anspruches und hat zu dem von Jordanien bestellten Imam einen Gegen-Imam ausgerufen.

f) Konfliktfeld Wasser

Ein strittiger Punkt der Endstatusverhandlungen ist die Frage um das Recht auf die vorhandenen Wasserressourcen. Wasser gehört im Nahen Osten zu den wichtigsten und knappsten Ressourcen, von der die Entwicklungsmöglichkeit der Bevölkerung sowie deren Lebensstandard abhängen. Als erster „Wasserkrieg“ gilt der arabisch-israelische Krieg von 1967, den Israel aufgrund eines „hydrologischen Imperatives“ führte. Damals eroberte Israel den Jordanzubringer Banias, der auf dem Berg Hermon in Syrien entspringt, sowie die Grundwasserreserven im Westjordanland und im Gazastreifen.[2] Im Vorfeld des Krieges kam es zu zahlreichen Auseinandersetzungen um die Wassernutzung des Jordan zwischen Israel und den arabischen Ländern: so baute Israel den National Water Carrier (1964 fertig gestellt), eine Pipeline, mit der große Mengen des Jordanflusses aus dem See Genezareth bis in die Wüste Negev umgeleitet werden. Als Reaktion auf diese einseitige israelische Nutzung begannen die arabischen Länder im Vorfeld des 1967er Krieges mit der Umleitung des syrischen Banias und des libanesischen Hasbani in den Yarmuk, wodurch der Zufluss des Jordan wesentlich verringert worden wäre. Während des Krieges bombardierte Israel schließlich die eingerichteten Baustellen, wodurch dieses Projekt verhindert wurde. 

 

Die israelische Regierung brachte nach 1967 bewusst Wasserquellen und Verteilungsmechanismen unter ihre Kontrolle, konfiszierte die alten Bodenrechte, ließ die palästinensischen Wasserzapfstellen austrocknen und errichtete gezielt Siedlungen entlang wichtiger Quellen des Jordan und um den See Genezareth. Somit erhielt Israel die vollständige Macht über das Wasser und wusste diese in der Folgezeit strategisch einzusetzen. Der Wasserverbrauch wurde daraufhin in den besetzten Gebieten drastisch eingeschränkt bzw. mit der steigenden Bevölkerungszahl nicht erhöht. Die Folgen waren ein deutliches Sinken des für die palästinensische Bevölkerung zur Verfügung stehenden Wassers und ein erheblicher Wassermangel im landwirtschaftlichen Bereich, dem wichtigsten Wirtschaftssektor für die Palästinenser. Im Gegensatz dazu wurde die Wasserzufuhr für israelische Siedlungen sehr günstig berechnet. Diese sichtbare Bevorzugung der Israelis stellte unter anderem einen der Ausgangspunkte für den palästinensischen Aufstand (Intifada) dar, da er die Wut der Palästinenser und ihre Ressentiments förderte. 

 

Die Wasserressourcen von Israel erneuern sich jedes Jahr mit rund 2000 Millionen Kubikmetern, die zu 60 Prozent aus Grundwasser und 40 Prozent aus Oberflächenwasser stammen.

 

75% der erneuerbaren Wasserressourcen der Westbank und des Gaza-Streifens werden von Israel genützt. Dabei beträgt der Wasserverbrauch im Durchschnitt pro Person und Tag bei der palästinensischen Bevölkerung zwischen 70 und 110 Liter (die Weltgesundheitsbehörde hat als Minimum 100 Liter Wasser für eine Person pro Tag festgelegt), während die israelische Bevölkerung rund 350 - 380 Liter pro Person und Tag und die israelischen Siedler 3.973 Liter pro Person und Tag verbrauchen.

 

Die Belagerung und Besetzung palästinensischer Gebiete führt zu einer extremen Wasserknappheit für die palästinensische Bevölkerung. Israelisches Militär sowie israelische Siedler attackieren und bombardieren gezielt palästinensische Wassertanks und verhindern somit die geregelte Wasserversorgung palästinensischer Städte. Als Folge des Wassermangels erhöht sich der Preis von zusätzlich hinzugeführtem Wasser aus den Wassertanks von 2,5 $ pro m³ auf 7,5 $ pro m³. Diese Preiserhöhung bewirkt im Durchschnitt eine 12% Erhöhung der Ausgaben des palästinensischen Einkommens einer Familie. 

Im Westjordanland werden rund 60 Prozent des Wassers von den jüdischen Siedlern vor Ort verbraucht oder nach Israel abgeleitet. Den Palästinensern ist untersagt, neue Brunnen zu bohren oder bestehende Brunnen über die 20-Meter-Marke hinaus zu vertiefen, während den Siedlern durch die Militärverwaltung auch Tiefenbrunnen (bis zu 1500 Meter) zugebilligt werden. Im übrigen ist das gesamte Versorgungssystem des Gebietes über Kanäle nach Israel ausgerichtet. 

Israel hat mit der Zone C in den besetzten Gebieten Kontrolle über alle vorhandenen Wasserressourcen. In den Osloverträgen wurde das Westjordanland in drei Zonen aufgeteilt: eine Zone unter palästinensischer Souveränität (A), eine unter gemischter Souveränität (B) und eine unter israelischer Souveränität (C). Zu Beginn der Al-Aksa-Intifada umfasste die Zone A 17,2 Prozent, Zone B 23,8 Prozent des gesamten Gebietes. Durch eine Reihe von Sondergesetzen wurde erreicht, dass in den besetzten Gebieten die Araber bis heute nur ein Fünftel der Wasservorkommen nutzen durften, die Israelis hingegen vier Fünftel. Das Wasser bildet einen der größten Konfliktpunkte zwischen den Israelis und den Palästinensern. Eine Einigung in diesem Bereich ist notwendig für einen baldigen Frieden, der jedoch auch eine Lösung für die errichteten Siedlungen und Siedler einschließen muss.

g) Das demographische Problem

Israel hat die besetzten Gebiete nicht annektiert, weil es nicht riskieren wollte, langfristig eine arabische Bevölkerungsmehrheit im Lande zu haben. Zwischen 100.000 und 180.000 Araber blieben auf israelischem Territorium und wurden israelische Staatsbürger. Diese werden im jüdischen Staat seither „israelische Araber“ genannt. Im Jahr 1948 lebten also rund 180.000 Araber in Israel, 2002 waren es bereits rund 1,2 Millionen. Ihre Geburtenrate ist zwar etwas rückläufig, liegt aber mit 5,6 Geburten pro Frau deutlich über der Geburtenrate der jüdischen Israelis mit 2,7 Geburten pro Frau. Heute leben in Israel beinahe sechseinhalb Millionen Israelis (davon ist ein Sechstel, rund eine Million, seit dem Zusammenbruch des Sowjetreiches zugewandert), zwanzig Prozent von ihnen sind keine Juden; in den palästinensischen Gebieten leben rund dreieinhalb Millionen Menschen. 

Im Jahr 2015 werden sich Palästinenser und Nicht-Palästinenser zahlenmäßig die Waage halten. Und im Jahr 2045 wird es selbst in Israel genauso viele Palästinenser wie Nicht-Palästinenser geben. Auf Grund der hohen Geburtenrate der palästinensischen Frauen werden dann mehr Palästinenser als Juden in Israel leben. Die Israelis sprechen deshalb auch von der neuen „Geheimwaffe“, der Gebärmutter der palästinensischen Frauen. Im Gazastreifen lebten im Jahr 1948 rund 500.000 Palästinenser, jetzt sind es über eine Million und im Jahr 2025 werden es fast drei Millionen sein. 

Israel - ein zerissenes Volk

Für Außenstehende kaum sichtbar, tobt in Israel ein Kulturkampf. Fromme Orthodoxe und weltliche Liberale ringen erbittert darum, wem Israel gehört und wer die Zukunft des jüdischen Staates bestimmen darf. Die Siedlerbewegung wurde zu einer mächtigen politischen Kraft. Sie ist heute tatsächlich die militante Speerspitze der Besetzung und will eine permanente jüdische Präsenz in den besetzten Gebieten erreichen. Die religiösen Siedler, rund 70.000 Personen, angetrieben von religiösen Eifer, haben ihr Leben dem Ziel geweiht, Israel immer tiefer in den Sumpf der fortgesetzten Besatzung zu ziehen. Der Hass auf die streng religiöse Minderheit – etwa 20 Prozent der Israelis sind orthodoxe Juden, manche modern und nationalistisch, andere antimodern und ultraorthodox – konvergiert daher aus vielen gesellschaftlichen Richtungen und vielen Gründen. 

Die Ultraorthodoxie (Haredim) blieb in Israel eine Enklave wie ihre Vorgänger in Europa. In traditionelle osteuropäische schwarze und weiße Kleidung gewandet, blieben sie dem Staate feind, den sie in ihrer Presse absurderweise mit den Nazis verglichen. Der Vergleich ergibt sich aus einer extremen Dissonanz, mit der die Gemeinden immer noch nicht leben können: dass die Zionisten, die sich Gottes Willen widersetzten und ins jüdische Heimatland zurückkehrten, verschont blieben, während Gottes fügsame Diener in Europa von den Nazis abgeschlachtet wurden. Die verquere Logik, die um dieses Paradox ausgebildet wurde, gibt dem Zionismus die Schuld an der „Strafe“ des Holocaust.

Die Angelegenheit wurde noch komplizierter durch einen politischen Kompromiss zwischen der Ultraorthodoxie und dem Staat, der bis zur Gründung Israels zurückreicht: Ultraorthodoxe Männer, welche die Thora studieren, sind vom Wehrdienst ausgenommen, vorausgesetzt, sie widmen dem Studium ihre gesamte Zeit. Ursprünglich sollten davon ein paar hundert Männer betroffen sein, aber die Entscheidung führte dazu, dass heute fast alle Männer aus dieser Gruppe dienstbefreit sind. Da das Gesetz „Vollzeitstudium“ vorschreibt, kann die große Mehrheit der ultraorthodoxen Männer nicht arbeiten. Ökonomisch dauerhaft unterversorgt und daher häufig von Sozialleistungen abhängig, beteiligen sie sich nicht an der Verteidigungslast, arbeiten nicht, kassieren Steuergelder und hassen ganz entschieden den Staat Israel. 

Wer wird sich in Israel durchsetzen? Die Gottesfürchtigen, die streng nach dem religiösen Gesetz, der Halacha, leben und nur ihrem Rabbi folgen, oder die modernen Israelis, die am Sabbat Auto fahren, ins Kino gehen und ihrem Staat in der Armee dienen? Gut 5 Prozent der israelischen Juden gelten als Ultraorthodoxe, weitere 20 Prozent als „Religiöse“. Die große Mehrheit ist säkular, wobei sich etwa 30 Prozent als „traditionelle Juden“ verstehen. Wegen der hohen Geburtenrate – eine Haredim-Familie hat im Durchschnitt acht Kinder – wächst die ultraorthodoxe Bevölkerung allerdings besonders schnell. Noch immer greifen religiöse Gesetze in den Alltag des modernen, westlich orientierten Israel ein. Nach wie vor wachen die Rabbis über die Reinheit der strengen Rituale, die Geburt, Heirat und Tod begleiten – Zugeständnisse, die David Ben Gurion 1948 den Fundamentalisten machte, um ihre Erlaubnis zur Staatsgründung zu erkaufen. 

Israel ist von jeher ein Land leidenschaftlicher Konflikte – Juden streiten mit Arabern, Alteingesessene mit neu eingewanderten Russen und Äthiopiern, orientalische mit europäischen Juden, Siedler mit Friedensaktivisten. Doch der tiefste Graben trennt Nichtreligiöse und fromme Ultras. Die Soziologin Eva Ezioni-Halewi aus Tel Aviv nennt die Israelis ein „geteiltes Volk“. „Die beiden Lager unterscheiden sich in allem: in ihren Werten, wie sie leben, welche Kleider sie tragen, wie sie sprechen, wie sie ihre Freizeit verbringen“. Viele Orthodoxe leben in abgeschlossenen Stadtvierteln wie einst in den osteuropäischen Ghettos. Sie unterhalten eigene Schulen, Krankenhäuser und Radiostationen. Subtil hat sich ein Staat im Staate gebildet, säkulare und orthodoxe Juden leben in getrennten Welten. Die Frommen verfluchen die Säkularen als „Unreine“ und „Teufel“, mitunter gar als „Nazis“. Auch die Säkularen greifen zu immer schärferen Vokabeln und beschimpfen die Strenggläubigen ihrerseits als „Läuse“ und „Parasiten“.

Viele säkulare Israelis empört, dass sie die Eiferer mit ihren Steuern auch noch alimentieren. Mehr als schätzungsweise 500 Millionen Euro lässt sich der Staat jährlich die Pflege der jüdischen Religion kosten, ein Großteil davon fließt an die Ultraorthodoxen. Der Konflikt um das Selbstverständnis des Staates kann nur gelöst werden, so glauben selbst manche Religiöse, wenn Israel endlich eine Verfassung bekommt, die Staat und Religion trennt. Doch ist Israel wirklich bereit für eine solche Verfassung, die dann auch den arabischen Bürgern gleiche Rechte einräumen müsste? Dies ist wenig wahrscheinlich, denn sogar liberale Säkulare sehen Israel als Land der Juden und lehnen deshalb auch ein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge ab.  

Die Austragung des Konflikts

a) Die Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft

Bei einer objektiven Betrachtung der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern zeigt sich ein systematischer Versuch, die palästinensische Gesellschaft zu zerbrechen und ihre Infrastruktur zu zerstören. Israel geht dabei in drei Stufen vor: 

Die erste ist die Zerstörung der wirtschaftlichen Infrastruktur der palästinensischen Gebiete, die weitgehend von der Landwirtschaft und früher auch vom Tourismus geprägt war. So zerstörten die Soldaten während der israelischen Besetzungen von Bethlehem Anfang 2001 systematisch die neu gebauten Touristenhotels. Im Rahmen dieser Strategie sind in weiten Gebieten Oliven- und Zitrusbäume gefällt oder einplaniert worden. 

Die zweite Stufe besteht in der Zerstörung der Instrumente der Palästinensischen Autonomiebehörde, nämlich des Polizei- und Sicherheitsapparates. Während Premierminister Scharon von dem Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde, Jassir Arafat, verlangt, gegen die Hamas und den Islamischen Dschiahad vorzugehen, hat Israel im Lauf der letzten Monate 80 Prozent der Polizeistationen der Autonomiebehörde zerstört und dem Erdboden gleich gemacht.

Drittens ist die israelische Regierung dabei, die palästinensische Führung zu eliminieren und zu liquidieren. In einem Brief an das Oberste Gericht schrieb Premierminister Barak: „Das internationale Recht erlaubt es, jemanden zu töten, von dem mit Sicherheit feststeht, dass er einen Anschlag gegen israelische Ziele vorbereitet“. Die israelische Regierung spricht dabei von „Undercover Counter-Terrorism Units“ und hat von Beginn der Aksa-Intifada im September 2000 bis Ende 2002 insgesamt 158 arabische Militante exekutiert.

Derzeit geht es noch gegen drittrangige Figuren, aber später wird es vermutlich auch die Topleute treffen. So drückte kürzlich Scharon sein „Bedauern“ darüber aus, dass Israel Arafat während des Libanonkrieges in Beirut nicht getötet hat. „Im Libanonkrieg gab es eine Vereinbarung, wonach Jassir Arafat nicht getötet werden sollte. Um die Wahrheit zu sagen bedauere ich, dass wir Arafat damals nicht eliminiert haben“. Ohne Führung, ohne wirtschaftliche Grundlagen, ohne die Organe der Palästinensischen Autonomiebehörde für die öffentliche Sicherheit wird die Bevölkerung sich bereit finden, das Land zu verlassen. 

Baruch Kimmerling, einer der renommiertesten Soziologen Israels, beschreibt die israelische Politik als die eines fortwährenden Politizids, dessen Ziel es sei, „das Ende der Existenz des palästinensischen Volkes als soziale, politische und wirtschaftliche Größe“ herbeizuführen.[3]

 

Für Kimmerling ist Israel „eine militärische, wirtschaftliche und technologische Supermacht“. Israel wurde „auf den Ruinen einer anderen Kultur aufgebaut, die dem Politizid und einer teilweisen ethnischen Säuberung zum Opfer fiel, auch wenn es dem neuen Staat Israel nicht gelang, die rivalisierende Kultur der ‚Eingeborenen’ auszulöschen“. Kimmerling beschreibt den Zustand seines Landes durch die Besatzungspolitik wie folgt: „Im Laufe der Zeit wurde dieser Zustand institutionalisiert, und Israel wurde von einer echten Demokratie zu einer Herrenvolk-Demokratie“.

b) Die Transferpolitik

Eine Vertreibung der Palästinenser („ethnische Säuberung“) erscheint unvorstellbar, politisch wie moralisch. Und doch wird in Israel über diese Möglichkeit in jüngster Zeit auf subtile, aber höchst beunruhigende Weise diskutiert. Kurz bevor ein Kommando der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) Minister Rehavam Zeevi im Oktober 2001 ermordete, hatte er am Morgen nach einem Selbstmordattentat im Rundfunk verkündet, was er jahrelang nicht ganz so deutlich hatte sagen können: Der („akzeptierte“) Transfer der Araber sei die einzige „Lösung“. Diese These ist aussprechbar geworden, weil die meisten Israelis die palästinensischen Selbstmordattentate weder als eine Form des Kampfes gegen die Okkupation sehen noch als Rache für die Angriffe der israelischen Armee.

Am 23. März 2001 berichtete die israelische Zeitung Ha’aretz über eine Konferenz am „Interdisciplinary Center“, zu der sich etwa dreihundert „prominente Persönlichkeiten aus dem Kern des politischen und militärischen Establishments Israels versammelten“. Die Schlussfolgerungen des Forums wurden feierlich an den Präsidenten Israels übermittelt, und was die Teilnehmer vorschlugen, war nichts anderes als die Transfer-Lösung: „Es wird notwenig sein, für die palästinensische Bevölkerung der Gebiete einen Ort außerhalb des Staatsgebietes Israels (vielleicht östlich des Jordans) zu finden, wo sie sich neu ansiedeln können“.

Die israelischen Palästinenser würden ihre Staatsbürgerschaft verlieren, indem sie in „palästinensische Souveränität überstellt“ würden. Die Ressourcen des Staates sollten in die „Förderung von Qualität“ investiert werden, das heißt, in die „starke Bevölkerung“ und nicht in die „nicht-zionistische Bevölkerung“, zu der die „Araber, Gastarbeiter und ultraorthodoxe Juden“ gehören, deren natürliches Bevölkerungswachstum zur Sorge Anlass gibt. Und aus dem Parteiprogramm der „Transferpartei“ Nationale Einheit (Koalitionspartner von Scharon) erfährt man: „Israel wird für die Beschleunigung des freiwilligen Transfers der Araber aus Judäa und Samaria sorgen, indem es die dortigen Universitäten und Hochschulen schließt, die Förderung der Industrie einstellt und für Arbeitsuchende die Arbeitsplätze in Israel sperrt“.

Im Jahre 1931 hat die in München erscheinende zionistische Zeitung „Jüdisches Echo“ geschrieben, um die Juden loszuwerden, brauche man keine Pogrome. „Wenn man Bienen loswerden will, so entzieht man ihren die Nahrung und räuchert sie aus“. Genau diese Taktik wurde in den ersten Jahren nach 1933 gegen deutsche Juden angewandt. Auch dass nach dem sogenannten Anschluss Österreichs 1938 zur Beschleunigung der Auswanderung von Juden eine „Zentralstelle für die Auswanderung von Juden“ eingerichtet wurde, dürfte bekannt sein. Im Programm der „Transferpartei“ ist nun zu lesen: „Die Regierung wird eine besondere Agentur gründen, deren Aufgabe die Förderung der Auswanderung sein wird“. Während der „große Transfer“ der gesamten palästinensischen Bevölkerung aber momentan nur eine ferne Möglichkeit ist, haben diverse Maßnahmen in den besetzten Gebieten – Straßenblockaden, Militärpatrouillen, Passierscheinschikanen – schon viele „kleine Vertreibungen“ bewirkt. 

c) Die Intifada

Auf Grund eines Autounfalls im Gazastreifen, der von den Palästinensern als Anschlag aufgefasst wurde, begann am 8. Dezember 1987 die sogenannte Intifada, der palästinensische Aufstand. Die anfänglichen Demonstrationen führten bald zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die sich schnell auf die Westbank ausweiteten. Ursache für diesen Ausbruch waren die Frustration, die Ausweglosigkeit und die Unzufriedenheit der palästinensischen Bevölkerung, die durch die schwierige wirtschaftliche Lage entstanden sind. Der Kontrast zwischen dem Wohlstand und der Sicherheit der jüdischen Siedlungen und den oft nahe gelegenen arabischen Dörfern mit mangelnder Wasserversorgung, abgeschnitten von der Infrastruktur und ohne Zugang zum israelischen politischen und rechtlichen System, erzeugt eine Verstärkung der Gewaltbereitschaft und eine radikale Bewegung hin zu extremistischen Untergruppierungen.

Israel reagierte mit einer „Politik der eisernen Faust“, indem unter anderem ein Verbot von PLO-nahen Organisationen ausgesprochen und palästinensische Städte und Dörfer abgesperrt wurden. Durch Streiks, Boykottaktionen und zivilen Ungehorsam, der die Palästinenser veranlassen sollte, weder Steuern an Israel zu zahlen noch für diesen Staat zu arbeiten, wollte man die Eigenstaatlichkeit der Palästinensern von Israel erzwingen. Daraufhin reagierten die Israelis mit radikalen Maßnahmen, wie zum Beispiel Ausgangssperren, die die palästinensische Bevölkerung von der Grundversorgung abschnitten. Gerade wegen dieser Verbote wuchs eine ungeheure nationale Solidarisierungswelle. Es entstanden palästinensische Volkskomitees, die die Grundversorgung sicherstellten. Durch die Intifada erlangte Arafat nicht nur intern an Bedeutung und Macht, sondern errang internationale Aufmerksamkeit. 

Die Palästinenser nutzen ihre Schwäche als Waffe in diesem Krieg. Weder haben sie eine Armee, noch haben sie militärische Verbündete in ihrem Kampf gegen Israel. Was ihnen bleibt, sind die Waffen der Schwachen: Kinder und Jugendliche, die mit Steinen gegen Soldaten vorgehen und damit Israel langsam in die Knie zwingen. Israel hat in der ersten Intifada, die von 1987 bis 1992 dauerte, nachgeben müssen, weil es die Bilder von Soldaten, die steinwerfenden Kindern nachlaufen, nicht mehr ertragen konnte. Israel hat sich aus dem Libanon im Mai 2000 zurückgezogen, weil die Bewegung der Mütter, die ihre Söhne nicht mehr opfern wollten, stärker war als der militärische Wille. Viele Israelis sind nicht „stark“ genug, den Gedanken zu ertragen, dass man Kinder ermordet. Die jetzige Al-Aksa-Intifada hat sich inzwischen zum „low-intensity-Konflikt“ entwickelt, ein Zustand zwischen Krieg und Frieden, der das tägliche Leben wie eine giftige Substanz zerfrisst.

Insgesamt kamen seit Beginn der Intifada (September 2000) bis einschließlich Dezember 2002 nach Angaben des Palästinensischen Roten Halbmondes 2.163 Palästinenser zu Tode, 22.173 wurden verletzt, 486 der Opfer waren Kinder und Jugendliche, davon 98 unter 12 Jahre alt. Auf israelischer Seite wurden 748 Personen getötet, davon 522 Zivilisten und 226 Angehörige der Sicherheitskräfte. 

Die Zahl der Verletzten beträgt hier 5.082 (3.598 Zivilisten, 1.490 Angehörige der Sicherheitskräfte). Die Statistiken (auch anderer Gruppierungen) geben keinen Aufschluss über das Verhältnis von zivilen Opfern, bewaffneten Zivilisten und Angehörigen der palästinensischen Sicherheitsdienste. Sie unterscheiden auch nicht zwischen jenen Bewaffneten, die im Kampf getötet wurden, und denen, die nicht im Kampfe fielen. Die angegebenen Zahlen enthalten keine Selbstmord-Attentäter. 

Die Truppen des palästinensischen Präsidenten

In jedem Krieg haben Militärs das Sagen - im Krieg um Palästina, den es eigentlich nicht gibt, ist das ein Militär, das es eigentlich nicht gibt: die Milizen der Palästinenser. Offiziell trägt die oberste palästinensische Polizeibehörde den Namen Polizeidirektorat. Dahinter verbirgt sich ein byzantinischer Apparat, an dessen Spitze nominell ein Generaldirektor und in Wirklichkeit Jasssir Arafat in seiner Funktion als Vorsitzender des Sicherheitsrats der Autonomiebehörde steht. Die Größenordung wird geschätzt auf 40.000 Mann. Damit gelten die Autonomiegebiete als Gegend mit der höchsten Polizeidichte der Welt. Auf 50 Bürger kommt ein Polizist, verglichen mit 400 zu 1 in den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern. Die eigentliche Aufgabe des gesamten Apparats scheint darin zu liegen, Arafats Macht zu schützen. Das Direktorat wacht über:

die Blaue Polizei: 10.000 Beamte versehen normalen Polizeidienst, regeln den Verkehr und bekämpfen das Verbrechen

die Nationale Sicherheitstruppe: 14.000 Milizionäre sind zuständig für Checkpoints und Grenzen der "A-Gebiete", Patrouillen mit israelischen Sicherheitskräften in den gemeinsam beaufsichtigten "B-Gebieten" und garantieren die öffentliche Sicherheit

der Vorbeugende Sicherheitsdienst: mit 5.000 Mann die stärkste Geheimpolizei

der Allgemeine Geheimdienst: 3.000 Agenten für Aufklärung innerhalb und außerhalb der A-Gebiete

der Militärische Abschirmdienst: überwacht Regimefeinde und Oppositionsgruppen

die Militärpolizei: spezialisiert auf den Schutz von VIPs, Kontrolle von Aufruhr und Durchsetzung von Disziplin in anderen Einheiten

eine Küstenschutzeinheit mit rund 1.000 Mann

eine rudimentäre Luftschutztruppe, verantwortlich für die fünf Hubschrauber der Autonomiebehörde

ein Zivilschutzdienst

eine Bezirksgarde, der Sicherheits- und Geheimdienst der elf Gouverneure. Nicht dem Polizeidirektorat unterstellt sind:

ein Sondersicherheitsdienst, der Arafat direkt verantwortlich ist, palästinensische Oppositionelle im Ausland bespitzelt und alle anderen dem Polizeidirektorat unterstellten Einheiten beobachtet sowie

die Force 17, die Prätorianergarde des Präsidenten, die auch für seinen Schutz und die Bewachung andere Politiker zuständig ist, darüber hinaus für Terrorbekämpfung, die Verhaftung Oppositioneller und der Kollaboration mit Israel Verdächtiger

Acht dieser insgesamt zwölf Einheiten agieren also in irgendeiner Weise als Geheimpolizei. Fast alle werden quasi militärisch ausgebildet und eingesetzt. Selbst die unverfänglich erscheinende Blaue Polizei spielt bei der Waffenmanufaktur eine zentrale Rolle.

Ebenso wichtig: die 1995 von Arafat als Gegengewicht zu den immer stärker werdenden oppositionellen islamistischen Gruppierungen gegründete Fatah-Tansim, eine in Zivil operierende Untergrundmiliz mit 20.000 bis 40.000 Mitgliedern. Offizielle Polizeieinheiten können sich gegen diese Stoßtrupps der Fatah (stärkste Fraktion der PLO) oft nicht durchsetzen. Viele Polizisten, heißt es, versehen tagsüber ihren Dienst bei der Polizei und werden nach Feierabend Tansim. Keinen Einfluss hat Arafat offiziell auf die wichtigsten islamistischen Gruppen mit eigenen Untergrundarmeen:

  • die Hamas, seit 1987 eine radikale Alternative zur PLO
  • der Islamische Dschihad, entstanden in den 70er Jahren im Gaza-Streifen, sein Hauptquartier liegt in Syrien
  • die Hizbullah, die Schiitenmiliz hat ihre Hochburg im Libanon und wird vom Iran unterstützt
d) Selbstmordattentate

Im Kern hat ein Selbstmordattentat kaum etwas mit Religion zu tun, sondern ist eine politische Strategie in einer verzweifelten Situation, in welcher der Unterlegene keine andere Wahl mehr sieht außer Kapitulation und Unterwerfung – oder den Gang in den Tod. Aus dieser Ohnmacht ist das Selbstmordattentat geboren: als letztes Mittel, gegen das keine Gegenwehr mehr möglich ist. Das Selbstmordattentat setzt die Rationalität von Eigeninteresse und Todesfurcht, das ganze Regelwerk von Abschreckung, Strafe und Sühne außer Kraft angesichts eines Täters, der sich im Moment einer Tat die schwerste Strafe selbst auferlegt. Was also bringt einen Menschen dazu, in einem nicht-staatlichen Krieg sein Leben zu opfern? Basierend auf den Schätzungen des israelischen Nachrichtendienstes Mosad ergeben sich für die fundamentalistischen Selbstmordkandidaten folgende Daten:

·         47% haben eine akademische Bildung bzw. Schulung auf islamischen Institutionen absolviert,

·         83% sind unverheiratet,

·         64% haben ein Durchschnittsalter von 18-27 Jahren,

·         die meisten Kandidaten waren für längere Zeit arbeitslos oder kamen aus Familien, die unter schwierigen
  wirtschaftlichen Verhältnissen, meist in Flüchtlingslagern, lebten,

·         fast alle waren ergebene Anhänger des Islams,

·         alle hatten den Wunsch, Angehörige oder Freunde, die durch die Israelis getötet wurden, zu rächen.

 

Der Hauptgrund des Racheaktes war jedoch religiöser Fanatismus, gemischt mit extremem Nationalismus, im Rahmen des unerbittlichen Kampfes gegen Israel und dessen Besetzung im Westjordanland, wo die Masse der Täter herstammt. 

Diese Situation der Ohnmacht, die Erkenntnis der Ausweglosigkeit und das Gefühl des Ausgeliefertseins an eine überlegene Macht, veranlasst offensichtlich dazu, das Selbstmordattentat als die letzte Waffe gegen den Feind anzusehen. Durch Demütigung, Folter oder auch nur Misshandlungen wie z. B. menschenrechtsverachtende Schikanen an Armeekontrollpunkten lassen sich meist junge Palästinenser dazu bewegen, sich als Selbstmordattentäter für Palästina zu opfern und in die Luft zu sprengen. 

Die amerikanische Organisation Human Rights Watch (HRW) hat unter dem Titel „Erased in a Moment“ („Ausgelöscht in einem Augenblick“) eine Dokumentation über die palästinensischen Selbstmordanschläge gegen israelische Zivilisten herausgegeben, die die Attentate der letzten zwei Jahre unter rechtlichen, politischen und statistischen Gesichtspunkten behandelt. Aus der Zusammenstellung von HRW geht hervor, dass zwischen September 2000 und August 2002 insgesamt 60 Selbstmordanschläge mit Sprengstoff verübt wurden, von denen sich 48 gegen zivile oder nicht eindeutig militärische Ziele richteten. Bei den 60 Anschlägen sind 262 Personen, unter ihnen 226 Zivilsten getötet und 1.892 Personen verletzt worden (in den Opferzahlen sind die Attentäter nicht enthalten). Die Hamas hat bei 22, die Aksa-Brigaden bei 16, der Islamische Dschihad bei 12 und die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) bei 3 Attentaten die Verantwortung übernommen; in 3 Fällen erhob mehr als eine Gruppe den Anspruch auf die Urheberschaft, und zu 4 Fällen gab es keine Bekennerschreiben. 60 Prozent der Attentate fanden in Israel, der Rest in den besetzten Gebieten statt. Zwischen September 2000 und August 2002 wurden auch 189 Zivilisten bei palästinensischen Anschlägen getötet, bei denen der Attentäter nicht Selbstmord beging. 

Viel zu wenig berücksichtigt bzw. untersucht scheint bisher die Frage, ob nicht der Antisemitismus, der immer schon im Zentrum des Islamismus gestanden hat, und der vor allem anderen die Popularität des Islamismus in der arabischen Welt begründet, eine zentrale Antriebskraft für den radikal-islamistischen Terror ist. Matthias Küntzel weist in seinem Buch Djihad und Judenhaß (Freiburg 2002) darauf hin, dass es nicht Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung allein sind, die die Hamas zu Selbstmordattentaten treiben, sondern ihr antisemitisches Weltbild. Welch Geistes Kind die Hamas-Ideologen sind, verkündet etwa ihre Charta von 1988: Da werden „die Juden“ nicht nur für den Nahostkonflikt, sondern auch für den Ersten und Zweiten Weltkrieg, die französische wie die Oktoberrevolution verantwortlich gemacht und die UN als Instrument jüdischer Weltbeherrschungspläne „entlarvt“. Als Beweis für derartige Pläne dienen die Protokolle der „Weisen von Zion“, jener im 19. Jhd. in Russland entstandenen, absurden Fälschung und Hetzschrift. Das alles hat mit der Palästinafrage nichts, mit antisemitischen Denkformen sehr viel zu tun. 

e) Der Zaun

Im Juni 2002 begann das israelische Verteidigungsministerium damit, einen Sicherheitszaun entlang der Grünen Grenze zwischen dem Westjordanland und dem Kernland Israel zu erstellen. Durch den Zaun, der etwa eine Million Dollar pro Kilometer kosten wird (wobei die Gesamtkosten auf rund 300 Millionen Dollar veranschlagt werden), sollen potentielle Attentäter daran gehindert werden, von den palästinensischen Gebieten aus nach Israel zu infiltrieren. Der Zaun mit seinen Gräben soll mit Videokameras überwacht, mit Wärmemeldeanlagen geschützt und mit israelischen Kontrollstellen und Durchgangstoren versehen werden. 

Die seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 bestehende Grüne Grenze, die das damals jordanisch regierte, von Israel eroberte und annektierte Westjordanland von Israel trennt, war bisher durchlässig und nicht, wie der Gaza-Streifen, durch Zäune und Gräben abgeriegelt. Aus dem Gaza-Steifen stammte bisher kein einziger Selbstmordattentäter, denn dieser ist von einem 54 Kilometer langen Zaun umgeben, der Tag und Nacht von israelischen Soldaten kontrolliert wird. Insgesamt will die Regierung offensichtlich das gesamte Westjordanland auf einer Länge von 365 Kilometer umzäunen. Selbst entlang der jordanischen Grenze soll der Zaun verlaufen, obwohl es dort bereits einen regulären gibt, der die beiden Staaten voneinander trennt. Hin tergrund dieser Aktivitäten ist wohl auch die Sorge um die demographische Entwicklung: eine Abkoppelung von den mehr als drei Millionen Palästinensern, um in 20 Jahren nicht als jüdische Minderheit im eigenen Land über eine arabische Mehrheit zu herrschen. Die tatsächliche Durchführung dieser Idee hat aber weitreichende Konsequenzen für die zionistische Idee: sie würde deren völliges Scheitern eingestehen. 

Man muss sich das vorstellen: Ein Staat schottet sich voll und ganz von seiner Umgebung ab und lebt damit im „Transit“-Zustand. Die Israelis würden aus einer Wagenburg, einer Festung, damit endgültig ein Ghetto machen. Das aber ist der totale Widerspruch zur zionistischen Ausgangsposition. Die frühen Zionisten wollten die Juden aus der hermetischen Abriegelung herausholen, in ein Land, wo sie frei und unabhängig ihre „Scholle“ bearbeiten können. Nun also die einseitige Abtrennung. Israel wird damit – ummauert – das größte Ghetto in der jüdischen Geschichte werden, die Juden in der Diaspora des Jahres 2003 wären, zumindest im Westen, in der Freiheit angekommen, die Israelis dagegen wären eingesperrt. Doch so grotesk es ist, ganz unerwartet kommt es nicht. Wie sagte schon der erste israelische Präsident Chaim Weizmann„Es ist leichter, die Juden aus dem Ghetto zu holen als das Ghetto aus den Juden“.

Fazit

Dass dem Problem Israel-Palästina so viel Aufmerksamkeit zuteil werden muss, hat zahlreiche Gründe: Erstens wird Israel als westliche Demokratie an diesem Maßstab gemessen. Zweitens hat der jüdische Staat eine hochkarätige Diaspora, für die er geistige Heimat und sichere Zuflucht sein möchte. Drittens wird das Land, als westlicher Vorposten in strategisch wichtigem Umfeld, von US-Steuergeldern und Geberorganisationen kräftig unterstützt und steht mit seinen Verbündeten im Ausland in reger Verbindung. Viertens wird israelische Politik benutzt, um eine islamistische, antiwestliche Stimmung zu schüren. 

Das bedeutet, eine Auseinandersetzung mit der israelischen Politik aus den verschiedensten Gründen ist zu unterscheiden von Antisemitismus. Das europäische Bild des jüdischen Volkes wird geprägt durch die Diaspora-Situation der Juden in Europa seit dem Mittelalter, ihre Ghettoisierung bis zum Beginn der Aufklärung, ihre großen Beiträge zur europäischen Kultur und Geistesgeschichte seit dem 18. Jhd. und ihre Opferrolle im Holocaust. Kritik an der israelischen Regierung stellt die Legitimität des Staates Israel nicht in Frage und ist nicht als Angriff auf das Judentum zu verstehen. 

Die über drei Millionen Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen haben grundsätzlich ein Recht auf einen lebensfähigen eigenen Staat. Israel sollte die meisten der 1967 eroberten Territorien aufgeben – nicht nur um den Palästinensern Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, sondern auch in höchst eigenem Interesse. Nicht zu verstehen ist, dass der jüdische Staat sich von einer kleinen Schar extremistischer Siedler aus den eigenen Reihen erpressen lässt. Denn eines zeigt die Al-Aksa-Intifada mit aller Deutlichkeit: Die Wut der Palästinenser entlädt sich vor allem an den im Gazastreifen und im Westjordanland verstreuten jüdischen Enklaven. Sie werden nicht nur als Symbol eines israelischen Hegemonieanspruches in diesen Gebieten empfunden, sie stehen auch der Bildung eines funktionsfähigen palästinensischen Staates im Wege. Einen rationalen Grund, an ihnen festzuhalten, hat Israel nicht. 

Auch wenn die offensichtlichen Ursachen des Konflikts in der mit der Staatsgründung Israels verbundenen Vertreibung der Palästinenser und dem sozialen Gefälle zwischen den benachbarten Bevölkerungsgruppen liegen, sind religiöse Unterströmungen ein nicht zu übersehendes und schwer kontrollierbares Element der Auseinandersetzung. Der palästinensisch-israelische Konflikt hat längst seine nationalen Züge verloren, ist eingebettet in einen Prozess, in dem es um eine grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem Islam geht, wobei Israel in den Augen der arabisch-islamischen Welt den Westen vertritt. Durch den Aufstieg der europäischen Zivilisationen entstand bei vielen Muslimen ein Gefühl der Erniedrigung durch den Westen, die USA und insbesondere Israel. Der Zionismus wird als Gipfel des westlichen Imperialismus gegen den Islam angesehen, als Teil eines historischen Prozesses, der von den Kreuzzügen bis in die Gegenwart reicht. Diesem Geschichtsbild gemäß ist der Judenstaat für den Islam eine Provokation. 

 

Die wahren Gefahren für Israel sind nicht die Anschläge der Selbstmordattentäter. Die eigentlichen Bedrohungen liegen in den politischen und psychologischen Folgen der Besatzung für die eignen Gesellschaft. Legale Folter, Vertreibung und behördlich angeordneter Gewahrsam sind an der Tagesordnung. Am 11. Januar 1996 gestattet das Oberste Gericht dem Geheim-

dienst erstmals die Anwendung von Foltermethoden in Form von „moderater physischer Gewalt“. Die Begründung beruht auf Artikel 34 des Strafgesetzbuches, der Vertretern des Staates Straffreiheit garantiert, wenn ihre Maßnahmen dazu dienen, das Leben, die Person oder das Eigentum anderer vor Schaden zu bewahren.

 

Immer mehr israelische Reservesoldaten brechen daher mit der Armee – und die Armee mit ihnen. Bis zu tausend Reservesoldaten haben seit Beginn der Al-Aksa-Intifada den Dienst in den besetzten Gebieten verweigert, über 100 mussten dafür Haftstrafen in Kauf nehmen. „Wir kämpfen nicht, um eine ganze Bevölkerung auszuhungern, zu erniedrigen, zu dominieren“. Und auch aus den Reihen von aktiven Soldaten gab es Protest. Am 25. Januar 2002 erschien in den Zeitungen der Aufruf von 53 Offizieren und Soldaten, alle aus Kampfeinheiten, also „unantastbar“ in den Augen der israelischen Gesellschaft. „Wir werden nicht länger jenseits der Grenze von 1967 kämpfen, um die dortige Bevölkerung zu beherrschen, zu vertreiben, auszuhungern und zu erniedrigen. Die Befehle, die wir erhielten, zerstören alle Werte, die wir in diesem Land verinnerlicht haben. Wir begreifen heute, dass der Preis der Besetzung die Korrumpierung der gesamten israelischen Gesellschaft ist“.

 

Zwei Völker und ein Land – zwei Völker, die sich in vieler Hinsicht ähnlicher sind, als sie selbst erkennen, und die doch nicht zusammen leben können. Die beiden Nationen, die auf biblischem Boden leben und das Heilige Land unter sich teilen müssen, sind gefangen in einem Trauma des Terrors, mit dem sie sich beide in diesem schon über 80 Jahreandauernden Konflikt bekämpft haben. Fanatische Moslems, die aus dem Koran das Recht, ja sogar die Pflicht zum Judenmord herauslesen, hindern das palästinensische Volk daran, sein Schicksal auf eine rationale Weise wahrzunehmen und eine realpolitische Entscheidung selbst zu treffen. Auf der anderen Seite der Judenstaat, dessen Bevölkerung gespalten ist. Eine große Minderheit ist bereit, das Land zwischen Mittelmeer und Jordan zu teilen, bereit, neben dem Staat Israel einen Palästinenserstaat zu akzeptieren. Eine andere große Minderheit will das andere Volk, das im Heiligen Land Heimatrecht hat, mit eiserner Faust beherrschen oder gar vertreiben. Und eine kleine Minderheit frommer Eiferer sieht in der „Heiligkeit des Landes“ gar einen höheren Wert als in der „Heiligkeit des Lebens“. Wer sich allein auf seinRecht beruft, muss wissen, dass es auf sehr wackligen Fundamenten ruht. Das Heilige Land gehört den Überlebendender verschiedenen Völker, auch den Juden und Arabern. Dieses Land war als Durchgangsland immer multi-national, multi-konfessio-nell und multi-kulturell. Der Wunsch, es in den Staat einer Nation, also in einen Nationalstaat, umzuwandeln, ist verständlich. Er ist jedoch unrealistisch. Die zwingende Konsequenz ist also, dass es zwei Staaten geben muss.

WAS ALSO IST NUN ZU TUN?

Der seinem Ursprung und Charakter nach politische Interessenskonflikt zwischen Arabern und Juden, in dem es um Landbesitz und Herrschaft ging, hatte sich in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts durch religiöse Überhöhung ethnisiert und gegen Interessenausgleich immunisiert. 

Durch Geschichte, Geographie und wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit aneinander gebunden, können die zwei verfeindeten Völker durchaus lernen, gleichberechtigt zusammenzuleben, wenn nicht aus freier Wahl, dann doch notgedrungen, so wie Weiße und Schwarze in Südafrika widerstrebend gelernt haben, nach Jahrhunderten der Feindschaft zu koexistieren. Ein eher zynischer Kommentar aus Südafrika lautet: „Wir mussten Apartheid erst ausprobieren, um zu wissen, dass das System nicht funktionieren kann!“

Ohne das Verbrechen zu  wiederholen, kann Israel von Südafrika lernen, dass das Einsperren von Menschen in Stammesreservaten und die Beschränkung der Rechte anderer in einem ethnischen Staat keinen langfristigen Frieden bringen. Auch der mit Gewalt oder anderen Mitteln herbeigeführte „Transfer“ löscht das Heimatgefühl und den Rückkehrwunsch eines Volkes nicht aus und ist außerdem ein noch größeres Verbrechen. Eine Regierungspartei, die zwischen diesen beiden Optionen – Transfer oder Apartheid – schwankt und sich in erster Linie von militärischen Überlegungen leiten lässt, erklärt ihren moralischen Bankrott. Angesichts des geradezu reflexhaft anmutenden Gewalteinsatzes auf beiden Seiten breitet sich unter den Beobachtern zunehmend Ratlosigkeit aus. 

Der israelische Schriftsteller Amos Oz schreibt am 16. April 2002 in einem Zeitungsartikel:

„Was kann ein gewöhnlicher Mensch tun, der vor einem gewaltigen Feuer steht? Er kann versuchen, dem Brand zu entkommen und all die ihrem Schicksal überlassen, die nicht schnell genug laufen können oder nicht wissen wohin. Er kann aber auch den Teelöffel, den er in der Hand hält, immer wieder mit Wasser füllen und es in die Flammen spritzen. Jeder von uns hat so einen Teelöffel. Wir brauchen in Israel wie auch in Palästina eine 'Teelöffel-Kampagne', bei der JEDER mitmacht und sein Äußerstes gibt, um dieses ewige Rad von Unterdrückung, Mord, Vergeltung und Vergeltung der Vergeltung endlich anzuhalten.“

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

 xxx Hier fehlt eine Tabelle - es wird versucht, sie auf einer zusätzlichen Seite einzufügen - fm xxx

[1] Der Begriff „Zionismus“ ist zum ersten Mal am 16.Mai 1890 in der Wiener Zeitschrift „Selbst-Emancipation“ von Nathan Birnbaum (Mathias Acher) geprägt worden, der 1893 auch ein Buch mit dem bezeichnenden Titel schrieb: „Die nationale Wiedergeburt des jüdischen Volkes in seinem Lande als Mittel zur Lösung der Judenfrage“. Im Grunde beruht der Zionismus auf drei Grundannahmen: 1. Die Juden seien ein Volk und nicht nur eine Religionsgemeinschaft. Deshalb ist die Judenfrage eine nationale Frage. 2. Der Antisemitismus und die daraus resultierende Judenverfolgung ist eine latente Gefahr für die Juden. 3. Palästina (Eretz Israel) war und ist die Heimat des jüdischen Volkes. 

[2] Der Jordan liegt mit seinen Zuflüssen im Zentrum des Nahostkonflikts, zwischen Syrien, Jordanien, dem Libanon und den besetzten Gebieten des Westjordanlandes. Seine Hauptzuflüsse entspringen in verschiedenen Ländern: der Banyas auf dem Berg Hermon in Syrien, der Dan in Israel, der Hasbani im Libanongebirge und der größte Zufluss des Jordan, der Yarmuk bildet die natürliche Grenze zwischen Syrien und Jordanien. 

[3] Baruch Kimmerling, Politizid. Ariel Sharons Verbrechen gegen das palästinensische Volk. München 2003

Bezug der "Denkanstöße": 
Studiengesellschaft für Friedensforschung e.V., Aldringenstraße 10, D-80639 München,
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